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Die Analyse Deutschland lebt auf Kosten seiner Nachbarn

Ungleichgewichte im Außenhandel sind Wasser auf die Mühlen der Protektionismus-Befürworter und könnten der Bundesrepublik schaden.

09.02.2017, 23:01

Magdeburg l Zum dritten Mal in Folge verzeichnet Deutschland einen Export-Rekord. Waren im Wert von 1,21 Billionen Euro hat die hiesige Wirtschaft im vergangenen Jahr ins Ausland verschickt, 1,2 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Ist das nun eine gute Nachricht?

Auf den ersten Blick vielleicht, repräsentiert doch die Billionen-Summe die beeindruckende Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen. Eine nähere Betrachtung gibt jedoch Anlass zur Sorge: Durch das rasante Wachstum der Ausfuhren ist auch der Handelsbilanzüberschuss auf einen neuen Rekordwert von 252,9 Milliarden Euro gestiegen, schon seit Jahren exportiert die Bundesrepublik mehr Waren als sie aus dem Ausland einführt – und lebt damit vor allem auf Kosten seiner engsten Verbündeten.

Hauptabnehmer deutscher Waren sind die EU-Nachbarländer, allein sie kauften Waren im Wert von 707,9 Milliarden Euro. Deutschland führte hingegen nur Güter im Wert von 632,5 Milliarden Euro ein, der Bilanzüberschuss liegt damit bei 75,4 Milliarden Euro. Und das in Zeiten, wo es vielen EU-Nachbarn wirtschaftlich deutlich schlechter geht, manche sogar Schulden machen müssen, um deutsche Waren zu bezahlen.

Insofern ist es schon fast als scheinheilig zu werten, wenn sich die deutsche Politik über die „America first“-Strategie von US-Präsident Donald Trump aufregt, gleichzeitig aber bereits seit Jahren selbst eine Wirtschafts- und Finanzpolitik nach dem Prinzip „Germany first“ verfolgt. Wenn Berlin nicht riskieren will, dass die ohnehin krisengeschüttelte EU zerbricht und Trump mit protektionistischen Maßnahmen wie Strafzöllen ernst macht, muss sie den Handelsbilanzüberschuss drastisch senken.

Nicht etwa dadurch, dass sie den Unternehmen sagt, sie sollen weniger Waren ins Ausland verkaufen. Sondern stattdessen durch Maßnahmen zur Steigerung der Einfuhren. Der Staat könnte deutlich mehr im Inland investieren, auf höhere Löhne und Renten hinwirken, um damit die Kaufkraft und auch die Nachfrage nach ausländischen Waren zu stärken.

Das alles müsste nicht zwangsläufig mit neuen Schulden einhergehen, wenn die Politik den Mut hätte, reiche Privatiers und Unternehmen endlich konsequenter zu besteuern. Für die Außen- wie für die Innenpolitik gilt: Reichtum in den Händen weniger führt früher oder später zu Konflikten. Ein Blick in die USA reicht, um festzustellen: Es ist fünf vor zwölf.