1. Startseite
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Wirtschaft
  6. >
  7. Weniger Zucker und weniger Salz

Einzelhandel Weniger Zucker und weniger Salz

Der deutsche Einzelhandel will Eigenmarken optimieren. Discounter Lidl gibt sich selbst klare Vorgaben.

Von Wolf von Dewitz 14.07.2017, 23:01

Neckarsulm (dpa) l Die Kunden kaufen ihre Produkte – und werden im deutschlandweiten Schnitt immer dicker. „Wir haben ein massives Überfettungsproblem hierzulande“, sagt der Handelsexperte Gerrit Heinemann von der Hochschule Niederrhein. Krankheiten wie Fettleibigkeit (Adipositas) und Diabetes nähmen überhand, „und die Gesundheitskosten fliegen uns um die Ohren“. Die Lebensmittelbranche habe ihren Anteil an dieser Misere, kritisiert Heinemann. Discounter und Supermarktketten nehmen das Problem nun stärker in den Fokus und lassen verlauten, sie wollten die Rezeptur ihrer Eigenmarken „optimieren“. Was genau das heißt, lassen sie häufig aber offen.

Einzig Lidl tut sich hervor mit einer erstaunlich konkreten Zielvorgabe. Bis 2025 soll der Salz- und Zuckergehalt der Eigenmarken um 20 Prozent sinken. Gestartet wurde mit Frühstücksflocken – der Zuckeranteil von „Honey Rings“ wurde nach Angaben der Firma sogar um rund 30 Prozent auf 23,9 Gramm pro 100 Gramm gesenkt. „Lidl bringt Schwung in die Debatte“, sagt Oliver Huizinga von Foodwatch. „Die anderen Handelskonzerne tun sich noch sehr schwer, ein konretes Ziel mit einer Zahl zu nennen.“ 20 Prozent weniger Zucker und Salz sei durchaus ambitioniert.

Tatsächlich äußern sich andere Händler bei dem Thema vage. „Wir wollen die ausgewogene Ernährung unserer Kunden fördern und setzen uns seit einigen Jahren für eine gesündere Produktzusammenstellung ein“, teilt Aldi Nord mit. Von Aldi Süd heißt es, man sei „grundsätzlich bestrebt, den Zuckergehalt in den von uns gehandelten Artikeln so gering wie möglich zu halten“. Man habe „in vielen Warenbereichen bereits individuelle Rezepturänderungen im Hinblick auf die Reduktion von Salz und Zucker durchgeführt“, etwa bei Broten, Müsli oder Pudding. Die Supermarktkette Real will bis Ende 2017 die Rezepturen von Eigenmarkeprodukten „überprüfen und gegebenenfalls optimieren“.

Kürzlich legte Rewe seine Pläne auf den Tisch. Das langfristig angelegte Reduktionsprogramm für Speiseeis, Cerealien, Brot und Getränke aus Eigenmarken soll „möglichst ohne wesentliche Veränderung der Sensorik der Produkte einhergehen“. Die Geschmackserwartungen der Kunden ließen sich nur über einen längeren Zeitraum ändern, so ein Rewe-Sprecher. Um wie viel Prozent der Zucker- und Salzgehalt sinken soll, sagt Rewe im Gegensatz zu Lidl nicht.

Die Kunden selbst bekommen von dem schleichenden Prozess wohl nichts mit – nur wenn sie die Angaben auf Produkten mit älteren Verpackungen vergleichen, könnten sie den geringeren Zuckergehalt bemerken. Eine gesonderte Auszeichnung ist laut Rewe erst ab einer Reduktion um 25 Prozent bei Salz und 30 Prozent bei Zucker zulässig, bezogen auf ein vergleichbares Lebensmittel. Das aber wird nicht angestrebt. „Eine derart starke Reduktion in einem Schritt ist geschmacklich so gut wie nicht möglich, da der Kunde geschmacklich so ein „anderes Produkt“ erhält“, so ein Rewe-Sprecher.

Mit ihrem Weniger-Zucker-Kurs liegen Lidl und die anderen Ketten auf Linie des Bundesernährungsministeriums – es hatte kürzlich eine Strategie entwickelt, der zufolge der Zucker- und Salzgehalt in Lebensmitteln mit freiwilligen Vorgaben der Firmen gesenkt werden soll.

Aus Sicht von Foodwatch ist das jedoch der falsche Weg. Fettleibigkeit und Diabetes sind Sicht der Organisation eine enorm hohe Gefahr für die öffentliche Gesundheit. „Da darf der Gesetzgeber nicht allein auf freiwillige Empfehlungen für die Wirtschaft setzen“, sagt Gesundheitsexperte Huizinga. Firmen sollten zum Beispiel für die Herstellung besonders zuckriger Lebensmittelprodukte wie Cola extra besteuert werden. Aus seiner Sicht zeigen Supermärkte und Discounter zwar richtige Ansätze, aber das reiche nicht aus.

Handelsexperte Heinemann wiederum hat Zweifel, dass sich am ungesunden Konsumverhalten alsbald etwas ändert. „Es gibt in Deutschland eine große Diskrepanz zwischen bekundetem und tatsächlichem Konsumverhalten“, sagt der Professor. „Fragt man den Verbraucher, was er kaufe, nennt er nur gesunde Lebensmittel – doch wenn er vor dem Regal steht, kauft er trotzdem Cola und fettigen Schweinebauch zum Grillen.“