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Familiencoaches Zweite Chance für junge Langzeitarbeitslose

Mit intensiver Betreuung durch Familiencoaches finden immer mehr junge Langzeitarbeitslose in Sachsen-Anhalt zurück ins Berufsleben.

29.09.2016, 23:01

Magdeburg l Christian Deppe packt an: Ein Trecker-Reifen braucht einen neuen Luftschlauch – kein einfaches Unterfangen bei einem Monstrum, das fast so groß ist wie der 29-jährige Kfz-Lehrling. „Wir reparieren hier halt nicht nur Autos, wir machen alles“, sagt Deppe und lächelt. Ein paar Handgriffe später liegt der neue Schlauch im Reifenprofil, Deppe hat Zeit für ein Gespräch.

Es ist keineswegs eine Selbstverständlichkeit, dass der junge Mann in einer Autowerkstatt bei Farsleben im Landkreis Börde eine Ausbildung machen darf. Vor knapp drei Jahren befand sich Deppe in einer beruflichen Sackgasse. Er hatte keinen Schulabschluss und das Jobcenter wollte ihm eine Ausbildung zum Autoschrauber nicht finanzieren – weil er nicht qualifiziert genug gewesen sei.

Deppe hatte jedoch Glück: Der Landkreis Börde stellte ihm Familiencoach Ulrike Kotschote zur Seite. Die Volksstimme berichtete seinerzeit über die neuen Betreuer, die jungen Arbeitslosen unter die Arme greifen, und schilderte auch die Probleme von Christian Deppe.

Wie sich nun drei Jahre später herausstellt, gelang es Familiencoach Kotschote, erfolgreich zwischen dem Jobcenter, der Werkstatt und Christian Deppe zu vermitteln. Er konnte zunächst ein Praktikum in der Werkstatt absolvieren, später wurde er als Auszubildender übernommen. „Wir sind sehr zufrieden mit ihm“, erzählt Werkstatt-Inhaberin Cornelia Kern. „Er ist stets zur Arbeit gekommen, hat fleißig gelernt und keine Fehlzeiten angehäuft.“

Schule war früher nichts für ihn, doch für das, was er jetzt macht, brennt der 29-Jährige. „So eine Chance bekommt man nicht so oft“, sagt er. Seinem Familiencoach ist er vor allem für die Hilfe bei den Behördengängen dankbar. Deppe weiß aber auch, was nötig ist, um erfolgreich zu bleiben: „Man muss selber ehrgeizig sein und dranbleiben.“ Parallel zur Ausbildung holt er nun auch seinen Hauptschulabschluss nach – das fällt ihm jetzt, wo er eine Berufsperspektive hat, leichter. Und er hat, wie Werkstattinhaberin Kern betont, gute Chancen, nach der Ausbildung übernommen zu werden.

Erfolgsgeschichten wie die von Christian Deppe sind inzwischen längst keine Seltenheit mehr. Das Arbeitsministerium in Sachsen-Anhalt hat die Arbeit der Familiencoaches in den vergangenen Jahren bilanziert und kommt zu einem beachtlichen Ergebnis. Von den 1076 Personen, die seit 2012 von landesweit 48 Coaches betreut wurden, konnten 502 von den Unternehmen in reguläre Arbeitsverhältnisse übernommen werden. Also bei knapp jedem zweiten ist es gelungen, mit intensiver Hilfe eine neue Berufsperspektive aufzubauen.

Mit dem Programm der Familiencoaches geht es allerdings nicht nur den Betroffenen besser. Denn es ist vor allem für junge Familien und Alleinerziehende konzipiert worden. Teilnehmen konnten daher Familien, in denen beide Partner langzeitarbeitslos und abhängig von Hartz IV sind und mindestens ein Kind zu versorgen haben.

Aufgenommen wurden zudem arbeitslose Alleinerziehende, sie bildeten unter den Betreuten mit 79 Prozent den größten Anteil. Wenn ihnen nun von den Familiencoaches geholfen werden konnte, dann profitieren davon auch die Kinder. Nach Angaben des Ministeriums lebten mehr als 5000 Kinder in den von den Coaches betreuten Familien.

Im Landkreis Harz arbeitet Nadine Kepke seit 2014 als Familiencoach. 30 Familien und Alleinerziehende betreut sie pro Jahr in Halberstadt und Wernigerode. „Bei den meisten handelt es sich um Alleinerziehende“, berichtet sie. „Die Betroffenen haben die unterschiedlichsten Probleme, die sie alleine oft nicht lösen können und deshalb dauerhaft arbeitslos sind.“ Bei manchen gehe es daher zunächst darum, das Alltagsleben neu zu ordnen, bevor über mögliche Beschäftigungsperspektiven nachgedacht werden kann. Klassische Probleme, die angepackt werden müssen, sind Mietschulden, Alkohol- und Drogenprobleme, psychische Krankheiten. Kepke muss zu ihren „Kunden“ oft erst ein Vertrauensverhältnis aufbauen, bevor sie sie dann zu Behörden und Hilfseinrichtungen begleitet. „Manche denken zunächst, wir wollen ihnen die Kinder wegnehmen – was natürlich nicht stimmt.“

Es geht aber längst nicht immer um tragische Schicksale. Junge Mütter finden oft keine Ausbildung oder keinen Job, weil sie es nicht schaffen, für ihre Kinder einen Krippen- oder Kita-Platz zu finden. Auch hier greift Kepke dann vermittelnd ein. Die Familiencoaches machen insofern eine Arbeit, für die die sogenannten Fallmanager in den Jobcentern, die üblicherweise für Hartz-IV-Empfänger zuständig sind, schlicht keine Zeit hätten. Während ein Familiencoach etwa 30 Personen betreut, sind es bei einem Fallmanager bis zu 300 – da bleibt pro Person viel weniger Zeit.

Wenn die Kunden von Nadine Kepke dann so weit sind, wieder eine Arbeit aufzunehmen, wird Ausschau nach einem interessierten Unternehmen gehalten. Das Jobcenter im Landkreis Harz beschäftigt hierfür Jobcoaches wie Madeleine Dräger. Sie steht eng mit Nadine Kepke in Kontakt und lotet aus, welche Perspektiven den Betreuten angeboten werden könnten. Damit Unternehmen auch einen Anreiz haben, die Langzeitarbeitslosen einzustellen, können die Coaches Fördergelder in Aussicht stellen. 1440 Euro monatlich gibt es maximal über einen Zeitraum von elf Monaten.

Auch wenn das Familiencoach-Programm ganz gut läuft, gibt es Nachbesserungsbedarf. Nadine Kepke würde sich wünschen, ihre Familien künftig länger als zwölf Monate zu betreuen. Der Gesetzgeber hat jedoch eben diese Frist gesetzt, nur in Ausnahmefällen dürfen es auch 18 Monate sein. „Es braucht aber Zeit, Vertrauen bei den Betreuten aufzubauen und auch ihre Probleme lösen sich in der Regel nicht von heute auf morgen“, erklärt Kepke.

Sachsen-Anhalts Arbeitsministerin Petra Grimm-Benne (SPD) hat zunächst ein anderes Ziel. Sie will das Familiencoach-Programm erst einmal auf weitere Zielgruppen ausweiten. „Wir haben viele Langzeitarbeitslose, die um die 40 Jahre alt sind und bisher keine Chance auf eine Förderung haben. Ihnen könnten wir mit den Coaches ebenfalls helfen“, so die Ministerin. Bislang durften die Familiencoaches nur Personen im Alter von 15 bis 35 Jahren betreuen.

Coach Nadine Kepke begrüßt den Vorstoß. „Auch im Harz haben wir viele in den 40ern, die in den 1990er Jahren keine Chance auf einen Ausbildungsplatz hatten und viele Jahre arbeitslos geblieben sind – für die wäre das Programm eine Chance.“ Es gehöre zwar oft viel Aufwand dazu, doch am Ende habe sich das bereits oft gelohnt. Meinung