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Förderung Wirtschaft will Azubi-Projekt retten

Unternehmen in Sachsen-Anhalt bilden Spanier aus. Der Bund will das nicht mehr finanziell fördern, die IHK Magdeburg hofft auf das Land.

15.09.2016, 23:01

Magdeburg l Jessica Cózar arbeitet erst im zweiten Jahr als Auszubildende beim Magdeburger Unternehmen BT innovation, doch schon jetzt trägt die 24-Jährige viel Verantwortung. Sie ist für den Vertrieb der Produkte in Spanien und Südamerika zuständig, betreut Händler und Kunden. Das hat auch etwas mit ihrer Herkunft zu tun: Sie ist Spanierin und bringt von Haus aus die nötigen Sprachkenntnisse mit.

Es ist kein Zufall, dass BT innovation die ehrgeizige Frau werben konnte. Die Bundesregierung sowie die Industrie- und Handelskammern fördern seit 2013 junge Europäer, die wegen schlechter Berufsaussichten in ihren Heimatländern nach Deutschland kommen, um sich fortzubilden und beruflich voranzukommen. Die Unternehmen, die sie einstellen, können wiederum ihren Fachkräftemangel lindern. Mehr als 500 junge Leute sind seither über das Programm „Mobipro-EU“ nach Sachsen-Anhalt gekommen.

Doch Anfang dieses Jahres, kurz nach der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt, kündigte die Bundesregierung überraschend an, dass das Förderprogramm für ausländische Azubis auslaufen soll. Und das obwohl Kanzlerin Angela Merkel (CDU) im Wahlkampf bei ihrem Besuch in Magdeburg noch versprochen hatte, dass es um ein paar Jahre verlängert wird. Der Ärger sowohl bei der Industrie- und Handelskammer als auch bei vielen Unternehmen, die gute Erfahrungen mit den Lehrlingen gemacht haben, ist seither groß.

„Ich kann nicht verstehen, dass so ein sinnvolles, erfolgreiches Programm eingestellt werden soll“, sagt etwa Felix von Limburg, Geschäftsführer von BT innovation. „Wir steuern auf einen Fachkräftemangel zu und brauchen ehrgeizige, qualifizierte junge Leute.“ Jessica Cózar etwa überzeuge mit sehr guten Leistungen.

Auch bei Magdeburgs IHK-Hauptgeschäftsführer Wolfgang März ist der Groll über die Regierung in Berlin groß: „Ich bin tief enttäuscht, mit Hilfe des Förderprogramms Mobipro-EU haben wir bisher sehr gute Ergebnisse erzielt.“ Nach Zahlen der IHK liegt die Quote derer, die vorzeitig ihre Ausbildung abbrechen, bei 25 Prozent. Die Quote fällt damit niedriger aus als bei deutschen Auszubildenden. Dort lag sie im vergangenen Jahr bei 33,5 Prozent.

Weil sich die Bundesregierung offenbar nicht mehr umstimmen lässt, sucht die Magdeburger IHK nun nach Wegen, das Förderprogramm in irgendeiner Form zu retten. Bei der Kammer hofft man darauf, dass das Land Sachsen-Anhalt finanziell einspringt, damit auch 2017 ein neuer Jahrgang junger Europäer hierzulande eine Ausbildung beginnen kann.

Die Kosten, die für eine Weiterführung des Projekts gedeckt werden müssten, hat die Kammer bereits ausgerechnet: Für 30 Azubis, die eine dreijährige Lehre machen wollen, würde eine Gesamtsumme von 1,1 Millionen Euro anfallen. Der Jahrgang von Lehrlingen, der jetzt im September angefangen hat, zählt allerdings 256 Personen. Wenn künftige Jahrgänge ähnlich groß oder größer ausfallen sollten, dann würden die Förderkosten auf bis zu zehn Millionen Euro pro Ausbildungsjahrgang steigen.

Die Summen kommen zustande, weil die Azubis zunächst in den europäischen Ländern geworben und auf ihre Ausbildung vorbereitet werden müssen. Von zentraler Bedeutung sind hierbei intensive Sprachkurse, die die jungen Leute über Monate in ihrer Heimat besuchen. Und damit sie während ihrer Ausbildung in Deutschland über die Runden kommen, wird sichergestellt, dass sie monatlich mindestens 818 Euro erhalten. Zahlt ein Arbeitgeber etwa ein niedrigeres Ausbildungsgehalt, so wird es über das Förderprogramm entsprechend aufgestockt.

Über eine Fortsetzung der Azubi-Förderung würde sich auch Max Bertram freuen. Er ist Geschäftsführer des Hotels Sachsen-Anhalt in Barleben und beschäftigt aktuell sechs spanische Auszubildende. „Wir sind echt glücklich mit den Spaniern“, erzählt Bertram. Sie würden äußerst motiviert ihrer Arbeit nachgehen und seien sehr aufgeschlossen.

Einer der Lehrlinge ist Denis Garcia Cornelio, er kommt wie Jessica Cózar aus Valencia und spricht in seinem zweiten Ausbildungsjahr schon recht gut Deutsch. „Die Sprache ist schwer zu erlernen, aber mit der Zeit wird es immer besser“, erzählt er. Nach Deutschland gekommen zu sein bereut er keineswegs. „Das spanische Bildungssystem ist nicht so gut, und auch die Jobsituation in meiner Heimat ist schwierig.“ Da mittlerweile recht viele Spanier in der Region leben würden, hätte sich inzwischen auch ein reger Austausch entwickelt. „Wir helfen uns gegenseitig, gehen gemeinsam aus.“

Hotel-Chef Max Bertram würde – sollte es künftig keine Förderung mehr geben – sogar in Erwägung ziehen, auf eigene Faust junge Spanier anzuwerben. „Im Vergleich zu manchen deutschen Bewerbern heben sich die spanischen positiv ab.“

Die IHK ist vorsichtig optimistisch, dass das Land einspringen wird. Die Signale aus der Staatskanzlei und dem Arbeitsministerium seien bisher positiv. Allerdings drängt die Zeit. Im November müssten die ersten Bewerbungsgespräche in den EU-Nachbarländern beginnen, damit 2017 wieder junge Europäer nach Sachsen-Anhalt kommen.