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Handwerk Meister eines aussterbenden Fachs

22 Goldene und 13 Diamantene Meister werden am Freitag von der Magdeburger Handwerkskammer ausgezeichnet.

03.11.2016, 23:01

Magdeburg l Uhrmacher, Böttcher oder Stellmacher sind Berufe, die einer aussterbenden Art angehören. Durch die industrielle Massenproduktion sind Handarbeiten dieser Art längst nicht mehr so gefragt wie früher. Bei der Altmeisterfeier im Magdeburger Haus des Handwerks stehen einige dieser Berufe im Mittelpunkt. 22 Goldene (50 Jahre) und 13 Diamantene (60) Meisterbriefe werden ehemaligen „Handwerkern“ verliehen.

Darunter ist auch Gudrun Reincke (73). Die Damenmaßschneidermeisterin legte 1966 ihre Meisterprüfung ab und erhält heute ihren Goldenen Meisterbrief. „Ich fing damals im Atelier des Modehauses Heinz Bormann in der Sternstraße an. Direkt gegenüber war die Handwerkskammer. Als ich mich spontan in einer Mittagspause nach einer Meisterprüfung erkundigen wollte, startete gerade ein neuer Kurs. So kam es also durch einen Zufall dazu“, erklärt die ehemalige Obermeisterin Magdeburgs.

Ihr Beruf habe sich vor allem mit der Wende stark verändert: „Das war damals ein großer Einschnitt. Plötzlich gab es in den Geschäften industriell gefertigte Kleidungsstücke und dagegen kam man als Maßschneiderin irgendwann nicht mehr an. Abgesehen von namhaften Designern gibt es sie kaum noch. Was man heute noch findet, sind lediglich Änderungs- und Reparaturschneidereien.“

Nach der Wiedervereinigung Deutschlands orientierte sie sich daher beruflich um und fertigte bis zu ihrer Rente nur noch privat Kleidungsstücke oder Faschingskostüme für ihre Enkelkinder an.

Den Goldenen Meisterbrief hat Karl-Heinz Gottschling (82) bereits vor zehn Jahren erhalten. Heute wird ihm der Diamantene verliehen. Seit 60 Jahren ist der Magdeburger ein Meister seines Handwerks. Und noch viel länger übte er seinen Beruf als Friseur aus. Der 82-Jährige bekam die Schere quasi mit in die Wiege gelegt, denn bereits sein Vater war Friseur und eröffnete 1930 seinen eigenen Salon im Stadtteil Rothensee.

„Nach meinem Schulabschluss ging ich bei der Firma Schnuck am Hasselbachplatz in die Lehre. Damals einer der größten Betriebe in der Region. Danach wechselte ich zu meinem Vater und legte 1956 die Meisterprüfung ab. Mit 22 war ich damals einer der jüngsten“, erzählt Gottschling.

Zwei Jahre später übernahm er den Friseursalon seines Vaters und entwickelte sich zu einem der Besten seiner Zunft und zum Obermeister Magdeburgs, wie er sich erinnert: „Damals kamen Kunden Hunderte Kilometer gefahren, um sich die Haare schneiden zu lassen. Darunter auch Gräfinnen.“

Vom Aussterben bedroht sieht er seine Berufsgruppe nicht, jedoch bestehe ein großer Fachkräftemangel im Friseurwesen: „Die Leute haben heute ganz andere Ansprüche als früher. Damals bekam die Kundin in der Mittagspause eine Lockwelle für fünf Mark. Heute ist das alles nicht mehr so einfach.“

Laut Gottschling liegt der Mangel vor allem an der Unterbezahlung und dem gesellschaftlichen Ansehen seines Berufes: „Damals hatten wir immer drei Lehrlinge im Betrieb und stellten niemanden mit einem schlechteren Notenschnitt als 2,0 ein. Heute überlegen es sich die Schüler zweimal, ob sie Friseur werden wollen.“