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Handwerk Neue Bürsten statt alte Besen

Seit 1885 existiert die Bürstenmanufaktur Steinbrück. In dritter Generation arbeitet Ursula Römer als Bürstenmacherin in Naumburg.

Von Alexander Rekow 05.05.2018, 01:01

Naumburg l Emsig blättert Ursula Römer durch mehrere Gästebücher. Sie ist auf der Suche nach Erinnerungen. „1995 war Roman Herzog hier“, sagt die 78-Jährige stolz. Doch nicht nur der ehemalige Bundespräsident und sein Vorgänger, Richard von Weizsäcker, waren bei Ursula Römer. Sie schüttelte Hände von Angela Merkel und Altkanzler Gerhard Schröder, hat Eintragungen aus Indien und Japan in ihrem Gästebuch und verkaufte Ivan Rebroff eine Hundebürste. Sogar die „New York Times“ hatte über ihr Geschäft berichtet. Grund: Die Naumburgerin ist eine der letzten Bürstenmacherinnen im Land und betreibt in dritter Generation das alte Handwerk. Laut Zentralverband des Deutschen Handwerks gibt es noch 107 Bürsten- und Pinselmacher in der Bundesrepublik.

Mitten auf der Flaniermeile unweit des Naumburger Doms ist das kleine Handwerksgeschäft 1876 von ihrem Urgroßvater Carl Steinbrück begründet worden. Das etwa 15 Quadratmeter kleine Geschäft mit Museumscharakter ist Verkaufsraum und Reparaturwerkstatt in einem. An den Flanken stehen große alte Vitrinen des Urgroßvaters, bis unter die Decke mit Besen, Pinseln und Bürsten gefüllt. „Jeder Haushalt braucht eine Bürste“, weiß Ursula Römer genau. So reihen sich Spül-, Creme-, Glanz-, Kleider-, Möbel-, Zahn-, Teppich-, Pilz-, Gemüse- und selbst Computerbürsten dicht an dicht. Dazu unzählige Besen und Pinsel – allesamt aus Holz.

Am Ende des Raums sitzt Ursula Römer in ihrem alten blauen Arbeitskittel an einer noch älteren Werkbank. Hinter ihr blicken Vater Kurt und Urgroßvater Carl mit Argusaugen von der Wand über ihre Schulter. Es ist das unauffällige Kernstück der urigen Bürstenmanufaktur. Hier repariert sie im Kundenauftrag und stellt Bürsten her. Ohne hinzuschauen, zieht die 78-Jährige Ziegenhaare durch ein Stück Holz. Zange, Borsten, Draht, Kleber und ihre Hände, mehr braucht sie nicht. So wie sie es mit 15 Jahren von Vater Kurt Steinbrück gelehrt bekam. Ihr erstes Lehrstück 1953: eine Schuhcremebürste. 1997 starb ihr Vater im Alter von 99 Jahren. Seitdem pflegt Ursula Römer die aussterbende Handwerkstradition.

Heute ist ihr Können beinah nur unter Touristen gefragt. „Bürsten aus Handarbeit wollen heute nicht mehr viele – die wollen Besen für fünf Euro aus dem Discounter.“ Daher hat Ursula Römer auch einige Industrieprodukte in ihren Vitrinen. „Meine Bürsten sind aber verschraubt und halten länger“, erklärt sie und macht sich Gedanken zum langsamen Niedergang ihres alten Handwerks. „Die Leute fahren zum Einkaufen ja lieber ins Gewerbegebiet als in die Innenstadt“, sagt die Handwerkerin. Daher hat die Bürstenmacherin auch nie an eine neue Einrichtung gedacht. „Die Touristen kommen ja gerade wegen dem alten Geschäft“, weiß sie.

Ursula Römer schiebt eine Kassette mit Volksmusik ins Radio und wippt mit dem Bein zum Takt: „Das ist Balsam für die Seele.“ Mit viel Geschick und Ausdauer schiebt sie Borsten um Borsten durch das Holz, zieht Draht mit der Zange, klebt und schneidet. „Ich mache das alles noch so lange, wie ich kann“, sagt sie. Schließlich sei sie ja auch nicht mehr die Jüngste. Dafür aber eine der letzten ihrer Zunft.

Mehr Fotos aus der Naumburger Bürstenmanufaktur Steinbrück gibt es hier.