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Kern-Energie Erstes schwimmendes Atomkraftwerk

In Russland wird ein Nuklearkraftwerk im August 2019 von Schleppern auf See gezogen. Experten fürchten ein "schwimmendes Tschernobyl".

05.07.2019, 10:41

Murmansk (dpa) | Auf dem ersten schwimmenden Atomkraftwerk der Welt riecht es nach frischer Farbe. Es laufen die letzten Arbeiten für Russlands milliardenschweres Prestigeprojekt, die "Akademik Lomonossow". Das AKW auf See sieht trotz der Reaktoren im Inneren aus wie ein ganz normales Schiff. In Weiß, Blau und Rot – den Farben der russischen Trikolore – ist die Außenwand des Megabaus gestrichen, der noch im Hafen von Murmansk vor Anker liegt.

In wenigen Monaten soll die Anlage mit zwei Druckwasserreaktoren an Bord ihren Betrieb aufnehmen. Die Bauweise erinnert an die riesigen Atomeisbrecher, die im Norden Russlands seit Jahrzehnten mit Nuklearantrieb unterwegs sind. Kritiker warnen vor einer möglichen Katastrophe im Polarmeer, und bezeichnen die Anlage als "schwimmendes Tschernobyl".

Im August soll die 144 lange und 30 Meter breite "Akademik Lomonossow" von Schleppern rund 4000 Kilometer weit in den äußersten Nordosten Russlands gezogen werden. Noch in diesem Jahr soll der vor der Küste Tschukotkas produzierte Strom die Hafenstadt Pewek sowie Gas- und Ölbohrinseln vor der Küste mit Energie versorgen. Das Ganze ist Teil eines Plans der russischen Regierung, die abgeschiedene, aber an Bodenschätzen reiche Region auf Vordermann zu bringen.

"Schwimmende AKW bringen viele Vorteile mit sich", sagt Wladimir Iriminku, der als Ingenieur für Umweltschutz auf der "Akademik Lomonossow" arbeitet. "Abgelegene Regionen können profitieren, ohne größere Verpflichtungen einzugehen", sagt er, während im Hintergrund im Maschinenraum leise Motoren brummen. Zu den Kosten eines derartigen Kernkraftwerks auf See gibt es keine genauen Angaben. Auf der "Akademik Lomonossow" werden rund 70 Megawatt produziert, die dann ins lokale Stromnetz eingespeist werden. Eine Stadt mit etwa 100.000 Einwohnern könnte damit versorgt werden.

Das bisherige Kraftwerk der Region – Bilibino – ist auf Permafrostboden gebaut, veraltet und anfälliger für Umwelteinflüsse. Durch den Klimawandel taut auch der bislang dauerhaft feste Untergrund auf. "Das schwimmende Akw ist viel sicherer als alles bisherige: Es kann selbst dem stärksten Tsunami standhalten und ist unsinkbar", versichert der Vizechef des AKW, Dmitri Alexejenko. Selbst auf potenzielle Terrorangriffe sei man vorbereitet. Auf See, Land und Luft werde das Militär die Anlage bewachen und schützen.

In Deutschland ist der Atomausstieg seit der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima bis Ende 2022 geplant. Sieben AKW sind noch in Betrieb. Mit Isar II, Emsland und Neckarwestheim II sollen in zweieinhalb Jahren auch die letzten von ihnen vom Netz gehen.

Russland verfolgt einen ganz anderen Plan. Insgesamt hat das Land mehr als 30 Atomkraftwerke in Betrieb. Moskau investiert zudem über seinen Energiekonzern Rosatom im großen Stil in neue Atomkraftwerke – besonders in ehemaligen Sowjetrepubliken, die selbst weder über Know-how noch über ausreichend Mittel verfügen. Auch in Indien, Bangladesch und in der Türkei plant Rosatom, für den weltweit rund 250.000 Menschen arbeiten, Atomkraftwerke. Immens umstritten ist das Engagement etwa in Weißrussland.

Die geplante Anlage in Ostrowez an der Grenze zum EU-Staat Litauen sorgt für viel Unmut in der Region. Es wird das erste nukleare Kraftwerk in der autoritär regierten Ex-Sowjetrepublik, die 1986 neben der Ukraine extrem von der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl getroffen wurde. Der Schock darüber sitzt noch immer tief, die gesundheitlichen Folgen sind auch Jahrzehnte später zu spüren.

"Russland plant noch mehr, wir bauen aus", sagt ein Ingenieur auf dem schwimmenden AKW im weitentfernten Murmansk. Sollte das Projekt erfolgreich sein, könnte eine ganze Flotte an schwimmenden Atomkraftwerken gebaut werden. Es gebe auf jeden Fall bereits großes Interesse aus Südostasien, heißt es. Russische Umweltschützer glauben daher, dass die "Akademik Lomonossow" eine Art Muster-AKW für potenzielle Käufer sei und weniger die Stromversorgung für Bewohner von Pewek im Sinn habe.

Rosatom könne bei einem potenziellen Vorfall kaum rasch handeln, sagt Raschid Alimow von der Umweltorganisation Greenpeace. "Allen muss klar sein, dass die Infrastruktur in dem abgelegenen Gebiet im Notfall fehlt", sagt der Energieexperte. "Wenn etwas schief geht, kann man nicht schnell mal hinfliegen. Die Folgen für die Region in der empfindlichen Arktis werden dramatisch sein." Die Regierung solle die Milliarden eher in alternative Energien investieren, als mit Atomenergie zu experimentieren.

Rosatom hält dagegen: Es sei eines der modernsten Atomkraftwerke, von der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) als sicher eingestuft. "Es gibt also keinen Grund, sich Sorgen zu machen", beschwichtigt Ingenieur Iriminku.