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Kritik Ist die Stahlindustrie zu „macho“?

Voestalpine-Chef Wolfgang Eder geht mit seiner eigenen Branche ins Gericht. Die Stahlindustrie verschließe die Augen vor ihren Problemen.

24.08.2017, 23:01

Linz (dpa) l Der aktuelle Aufschwung der Stahlindustrie täuscht nach Ansicht von Voestalpine-Chef Wolfgang Eder nur über weiter bestehende tiefe Strukturprobleme hinweg. Angesichts der Überkapazitäten von 30 bis 40 Millionen Tonnen allein in Europa werde mittel- und langfristig an Kapazitätsverringerungen bis hin zu Werksschließungen kein Weg vorbeigehen, sagte der Chef des österreichischen Stahl- und Industriegüterkonzerns der dpa. „Es ist eine Macho-Industrie, in der Millionen Tonnen immer noch mehr zählen als Millionen verdienter Euro, Dollar oder Renminbi.“ Das Problem sei auch, dass die Politik aus falsch verstandener Standortpolitik um jedes auch unrentable Werk kämpfe, meinte Eder, der auch Vizepräsident des Weltstahlverbands ist.

Nach Angaben von OECD und Weltstahlverband werden die weltweiten Kapazitäten für die Produktion von Stahl 2018 auf 2,43 Milliarden Tonnen steigen. Der Bedarf liege aber nur bei 1,6 Milliarden Tonnen. Vor allem in Asien sei eine spürbare Produktionsausweitung bis 2019 geplant. Vor 15 Jahren konnten weltweit erst rund eine Milliarde Tonnen produziert werden.

„Wir haben eine permanente Aufwärtsentwicklung bei den Kapazitäten, auch in den kritischen Jahren nach der Finanzkrise 2009“, kritisierte Eder, dessen Unternehmen mit High-Tech-Qualitätsstählen zu den wichtigen Zulieferern der Automobil-, Luftfahrt- und Eisenbahnindustrie zählt. Auch deshalb werde Europa, einst Netto-Exporteur beim Stahl, sicher künftig Netto-Importeur bleiben. Die Anti-Dumping-Maßnahmen der EU gegen chinesischen Stahl seien als letztes Mittel leider nötig.

Die Branche ist laut Eder, der den Konzern seit 13 Jahren führt, in gewisser Weise Opfer ihres eigenen technologischen Erfolgs. Denn die Fortschritte im Leichtbau – eine Autokarosserie wiegt heute um 40 Prozent weniger als vor 30 Jahren – bedeuteten automatisch weniger benötigte Tonnen.

Laut Analyse der UBS hatten die Stahlkocher zu besten Zeiten wie Ende 2008 rund 215 Euro pro Tonne Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) erzielt. Der Absturz 2016 auf 46 Euro pro Tonne war hart, aktuell rechnen die von der „Financial Times“ zitierten UBS-Experten mit rund 100 Euro. Auch die Voestalpine wird demnächst bis zu 300 Millionen Euro in ein neues Edelstahlwerk investieren. Das sei kein Widerspruch zu seiner Klage über Überkapazitäten bei normalem Stahl, betonte Eder. Das dort hergestellte Produkt habe „mit herkömmlichem Stahl absolut nichts mehr zu tun – und wir erweitern die Kapazitäten auch nicht.“

Generell erhofft sich Eder mehr Flexibilität der Politik gegenüber der energieintensiven Branche bei der Erreichung der Klimaziele. Die angestrebte Verringerung beim Ausstoß von Treibhausgasen sei höchst ambitioniert. „Wir können den Endtermin 2050 nachvollziehen. Wo wir mehr Flexibilität brauchen, ist der Weg dorthin. Die Termine 2030 und 2040 sollten nicht wie ein Fallbeil kommen“, sagte Eder. Würde die Voestalpine ganz von Kokskohle auf Strom umstellen, würde das Unternehmen in etwa 50 Prozent des österreichischen Strombedarfs zusätzlich brauchen, also 30 neue Donaukraftwerke.

Angesichts der aktuellen EU-Pläne, die Zertifikate im Emissionshandel aus Klimaschutzgründen weiter zu verknappen, ist auch die deutsche Wirtschaftsvereinigung Stahl besorgt. Wer die Wettbewerbsfähigkeit in Europa einschränke, riskiere eine umweltbelastendere Produktion in anderen Teilen der Welt, heißt es in einer Reaktion auf die EU-Pläne.