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Landwirtschaft Milchbauern verlieren den Glauben

Der ruinöse Milchpreis bringt viele Bauern an den Rand der Existenz. Agrarpolitiker streiten darüber, welche Wege aus der Krise führen.

Von Rudi-Michael Wienecke 19.02.2016, 00:01

Bismark l Unter den rund 200 Gästen in der Bismarker Zuchtviehhalle der Rinder-Allianz dominierten die Milchviehhalter. Die Stimmung war geladen, die Landesagrarpolitiker auf dem Podium hatten kein leichtes Los. „Wir sind am Ende, können unsere Rechnungen nicht bezahlen. Wir haben den Glauben an Euch verloren“, schmetterte Hartwig Dammeyer aus Hohengöhren ihnen entgegen und bekam den Applaus seiner Kollegen.

Die Ursache der Krise war schnell gefunden. Zu viel Milch auf dem Markt drückt den Preis in den Keller. „Davor warnen wir seit Jahren“, so Peter Schuchmann, Landesvorsitzender des Bundes Deutscher Milchviehhalter (BDM). Das BDM-Konzept dagegen: Die Monitoringstelle in Brüssel behält den Markt im Auge, warnt frühzeitig bei drohender Überproduktion. Landwirten, die dann noch mehr Milch produzieren, droht eine Strafzahlung. Außerdem solle sich Europa auf die Eigenversorgung und nicht auf den Export konzentrieren.

Teilweise sehen Politiker darin eine neue Form der Quote, die im Frühjahr 2015 abgeschafft wurde. Eine Rückkehr lehnt Landwirtschaftsminister Hermann Onko Aeikens (CDU) strikt ab. Wie Parteikollege Bernhard Daldrup sieht er die Zukunft des europäischen Milchmarktes im Export. Die Weltbevölkerung wachse, damit auch die Nachfrage nach Lebensmitteln.

Außerdem müssten die aktuellen Lieferbeziehungen zwischen Molkereien und Landwirten überdacht und entsprechend Gesetze geändert werden. Die bestehende Andienungspflicht sollte wirklichen Verträgen, in denen Abnahmemengen und Preise geregelt sind, weichen. Das Land wolle die Bauern mit verschiedenen Hilfsprogrammen durch die Krise begleiten. „An den Ursachen können wir wenig ändern“, so Aeikens. Nun werde sich zeigen, wer bereit ist, durch das Tal zu gehen und wer anschließend noch übrig sei.

Auch Jürgen Barth (SPD) hält die BDM-Vorschläge für nicht umsetzbar, in Brüssel würde es dafür keine Mehrheiten geben. Auch er setzt auf neue Vertragsbeziehungen zwischen Molkerei und Landwirt, weg von der Quantität, hin zur Qualität. Barth kritisierte das Russlandembargo. Dadurch sei der deutschen Landwirtschaft ein wichtiger Markt verloren gegangen und die Politik lasse die Bauern alleine.

Johann Hauser (FDP), der sich ebenfalls gegen eine Rückkehr zur Quote aussprach, nahm den Faden auf, sprach von 1,2 Milliarden Euro Verlust für Bauern durch das Embargo. Mittlerweile habe Russland seine Kapazitäten erweitert. Nach dem Embargo sei der Markt also für europäische Milchproduzenten kleiner.

Der Russlandboykott treffe nicht das leidensfähige Russland, sondern die europäischen Bauern, war auch Meinung von Harry Czeke (Linke). Eine Exportorientierung in Sachen Milch sieht er dagegen kritisch. Bisherige Abnehmerländer wie Indien oder China würden eigene Kapazitäten aufbauen, was die gesunkene Nachfrage aus China beweise. Das BDM-Konzept hält Czeke für diskussionswürdig.

Für Dorothea Frederking (Bündnis 90/Grüne) ist die Exportorientierung sogar zerstörerisch. Milch könne überall vor Ort produziert, müsse nicht über weite Strecken transportiert werden. Sie verteidigte das BDM-Papier, sah darin eine EU-weite Möglichkeit der Krisenbewältigung. Es sollte wenigstens versucht werden, dass alle an einem Strang ziehen. Frederking schlug vor, künftige Zahlungen der EU an eine Mengenreduzierung zu koppeln und Bauern, die weniger produzieren, zu belohnen. Selbst fünf Prozent weniger auf dem Markt würden eine erhebliche Entlastung sein.

Die Entwicklung der Milchpreise zu prognostizieren, vermochte keiner der Politiker. Bernhard Daldrup warnte: Gingen die Mengen nicht runter, und danach sehe es aus, werde der Preis bis zum Jahresende nicht steigen. Einig waren sich die Politiker in ihrer Kritik am Einzelhandel, der Lebensmittel insgesamt zu billig anbiete.