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Absinth Grüne Fee erobert die Bars zurück

Van Gogh soll sich einst sein Ohr im Rausch abgeschnitten haben. Nun erlebt Absinth eine Renaissance. Der Abtshof Magdeburg profitiert.

10.08.2016, 23:01

Magdeburg l Seine hellgrüne Farbe und seine berauschende Wirkung haben einst dazu beigetragen, dass ihn seine Anhänger als „grüne Fee“ verehrten. Vom Absinth ließ sich nicht nur Vincent van Gogh inspirieren, auch Schriftsteller wie Ernest Hemingway, Edgar Allan Poe und Charles Baudelaire frönten im 19. und 20. Jahrhundert der ursprünglich als Medizin entwickelten Spirituose.

Doch das ist lange her. Absinth ist heute – nachdem er zwischen 1915 und 1998 jahrzehntelang verboten war – ein Nischen-Trank, der sowohl bei der feiernden Jugend als auch bei älteren Genusstrinkern ankommt. „Jüngere Leute trinken heute vor allem absinthhaltige Cocktails, ältere Kunden entdecken für sich den klassischen, reinen Genuss wieder“, erklärt Frank Kwapulinski.

Er ist Geschäftsführer beim Abtshof Magdeburg, dem deutschlandweit größten Produzenten von Absinth. Mehr als 150 000 Flaschen pro Jahr verkauft das Unternehmen zwischen München und Flensburg, der Marktanteil liegt derzeit bei mehr als 50 Prozent. Gut jede zweite Flasche im Handel und in der Gastronomie kommt damit aus Sachsen-Anhalt.

Der stetig wachsende Absinth-Absatz führt heutzutage allerdings nicht mehr dazu, dass sich Konsumenten im Wahn ihr Ohr abschneiden, halluzinieren oder gar Mordlüste entwickeln. Zwar wird Absinth noch immer aus Wermut, Anis, Fenchel und weiteren Kräutern hergestellt und enthält zwischen 40 und 85 Prozent Alkohol, doch der Anteil des berauschenden Thujon-Öls aus der Wermutpflanze ist bei der Wiederzulassung auf ein Minimum herunterreguliert worden. „Ganz auf Thujon kann man bei Absinth nicht verzichten, denn das Öl ist auch ein Geschmacksträger“, erklärt Kwapulinski. „Die verbliebene Menge wirkt allerdings nicht mehr berauschend.“

Das Bundesamt für Risikobewertung teilt diese Einschätzung. Zwar sei Thujon ein Nervengift, das Halluzinationen, epileptische Krämpfe und schwere psychische Schäden verursachen kann. Doch laut einer eigenen Studie würden die gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte für Thujon in den auf den Markt befindlichen Absinthgetränken eingehalten, so dass keine Gefährdung für die Konsumenten bestehe. Die Behörde rät allerdings wegen des meist hohen Alkoholgehalts trotzdem zur Vorsicht.

Der Faszination für die „grüne Fee“ tut das allerdings keinen Abbruch. „Absinth ist heutzutage kein Getränk mehr, mit dem man sich einfach nur berauscht – man trinkt es in geselligen Runden“, erklärt Kwapulinski.

Ältere Kunden würden vor allem die traditionellen Absinth-Rituale wiederentdecken. Drei sind im Wesentlichen bekannt: Beim böhmischen Ritual wird Absinth auf ein Stück Zucker geträufelt und entzündet. Sobald die Masse karamellisiert, wird sie gelöscht und ins Glas gegeben. Anschließend wird Eiswasser hinzugemischt.

Die Schweizer Trinkweise ist die am wenigsten etablierte. Bei ihr werden lediglich zwei bis vier Zentiliter Absinth mit kaltem Wasser vermischt. Auf Zucker wird verzichtet, da die in der Schweiz getrunkenen Absinthe grundsätzlich weniger bitter schmecken.

Beim französischen Trinkritual wird ebenfalls Würfelzucker verwendet, wobei dieser mit kaltem Wasser begossen wird. Die Franzosen haben für ihr Ritual schon früher sogenannte Absinth-Fontänen genutzt. Durch einen dünnen Eiswasser-Strahl aus den Fontänen konnte der Zucker auf dem Absinthlöffel aufgelöst und ins Glas gegeben werden.

Bei jungen Leuten sind die historischen Rituale nicht ganz so populär. Der Magdeburger Abtshof wirbt deshalb mit den Möglichkeiten, Absinth für Cocktails zu nutzen. Außerdem entwickelt das Unternehmen immer wieder neue Geschmacksvarianten. „Neben der klassischen Variante, die nach Anis schmeckt, verkaufen wir Absinth mit Vanille-Geschmack. Und auch die Variation mit Tonkabohnen kommt gut an“, erzählt Kwapulinski. „Innovationen sind nötig, damit wir am Ball bleiben.“

Einfach sei der Weg zur Marktführerschaft keineswegs gewesen, betont er. „Nachdem man Absinth wieder erlaubt hatte, war es zunächst ein Risiko, überhaupt die Produktion aufzunehmen, denn keiner wusste, ob sich ein Markt für diese Spirituose findet.“ Geld für Werbung sei ebenfalls nicht nennenswert vorhanden gewesen.Letztlich sei der Einstieg ins Absinth-Geschäft über die großen deutschen Handelsketten gelungen. „Wir hatten uns zunächst dagegen entschieden, eine Ochsentour durch die Kneipen zu machen und hatten letztlich auf die Weise Erfolg.“ Inzwischen sei aber der Absatz in der Gastronomie ebenso wichtig wie der Verkauf in den Supermärkten.

22 Mitarbeiter beschäftigt der Abtshof, der Jahresumsatz lag zuletzt bei mehr als fünf Millionen Euro. Neben Absinth stellt das Magdeburger Unternehmen noch andere Kräuterschnäpse und Spirituosen her, doch die „grüne Fee“ sei inzwischen „die tragende Säule“, erklärt Kwapulinski. Der Absinth-Anteil an der Gesamtproduktion liege inzwischen bei etwa 40 Prozent.

Sorgen macht dem Geschäftsführer inzwischen der Preisdruck, den die großen Handelsketten in Deutschland ausüben. „Von Jahr zu Jahr ist das ein Kampf um Prozente“, ärgert sich Kwapulinski. Dabei gebe es in der Preisgestaltung kaum noch Spielraum. Der halbe Liter Absinth koste derzeit knapp 20 Euro, viel tiefer dürfe es nicht mehr gehen.

Das Unternehmen füllt seinen Absinth nicht in irgendwelche Glasflaschen, es lässt für den Kräuterschnaps extra welche im Stil von Apothekerflaschen produzieren. „Ganz am Anfang galt Absinth als Medizin bei Magenbeschwerden – daran erinnern wir mit der Flaschenform“, erklärt Kwapulinski. Zwar werde der Schnaps inzwischen weitgehend automatisch abgefüllt, dennoch entstünden Kosten, weil die Flaschen einzeln aufwendig etikettiert und verplombt werden.

Der Abtshof-Geschäftsführer ist aber auch zuversichtlich. „Glücklicherweise werben Handelsketten mittlerweile wieder häufiger mit regionalen Produkten, und außerdem ist der Markt für Absinth in Deutschland noch lange nicht ganz abgedeckt.“

Mit Auslandsgeschäften will sich der Magdeburger Abtshof vorerst zurückhalten. „Wir liefern zwar vereinzelt in andere EU-Länder wie Polen oder Österreich, aber für größere Geschäfte fehlt uns das Vertriebsnetz.“

Dem Abtshof sei allerdings ein schrittweises Wachstum mit der berüchtigten „grünen Fee“ auch lieber.