1. Startseite
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Wirtschaft
  6. >
  7. Eine scheinheilige Debatte?

Mikroplastik Eine scheinheilige Debatte?

Granulat auf Kunstrasen soll der Umwelt schaden - über die Entsorgung der Beläge redet kaum jemand.

26.07.2019, 23:01

Magdeburg l Noch prüft die Europäische Chemieagentur, wie groß die Belastung von Gummigranulat für die Umwelt wirklich ist. Erst im nächsten Jahr werden Ergebnisse der Experten erwartet. Und auch das Bundesumweltministerium geht laut éines Sprechers davon aus, dass sich eine entsprechende Regelung zum Verbot von Gummigranulat „auf neue zu schaffende Rasen- und Sportplätze bezieht und nicht auf bestehende“. Viel Lärm also um nichts? Nur auf den ersten Blick. Denn die Debatte birgt die Chance, ein Geschäftsfeld in den Blickpunkt zu rücken, das bisher kaum beleuchtet wurde. Was passiert eigentlich mit alten Kunstrasenbelägen? Ist die Entsorgung ähnlich umweltfreundlich wie es sich die EU von künftigen Kunstrasenplätzen mit Sand- oder Korkverfüllung erhofft? Nein. Ganz im Gegenteil.

Mit Re-Match gibt es weltweit nur eine Firma, die alte Kunstrasenbeläge zu 99 Prozent recycelt. Das dänische Unternehmen hat ein System entwickelt, das alle Bestandteile der alten, aufgerollten Kunstrasenplätze werden in seine Einzelteile zerlegt: Fasern, Sand und Gummi. Die Stoffe werden gereinigt und anschließend wieder verkauft. In den Städten mit dem größten Aufkommmen von Kunstrasenflächen, nämlich in Hamburg, Düsseldorf und Berlin, wird bereits das Recycling-System von Re-Match verwendet. Die Expansion ist geplant. In Deutschland könnte sich das Unternehmen nach Volksstimme-Informationen einen Standort im Ruhrgebiet vorstellen. Doch noch ist es nicht so weit. Bis dahin muss die Firma hierzulande mit Subunternehmern zusammenarbeiten, die die Plätze in Deutschland abtragen. Das Recycling übernimmt dann Re-Match. Doch das ist – bislang – nur in Ausnahmefällen so. „Vielmehr nutzen die Firmen uns oft als Alibi“, sagt Re-Match-Gründer Dennis Andersen. Sie geben vor, die alten Beläge bei Re-Match ökofreundlich entsorgen zu lassen. In einigen Fällen ist das wahr, in den meisten aber eben gelogen.

In Deutschland gibt es drei große Firmen, die den Handel mit alten Kunstrasenbelägen unter sich ausmachen. Die Volksstimme hat alle drei Unternehmen kontaktiert und wollte von ihnen wissen, wie die Beläge entsorgt werden. Ein Chef rief zurück. Schnell macht er deutlich, dass er weder seinen noch den Firmennamen in der Volksstimme lesen will und droht mit einer Verleumdungklage. Seine Antworten sind vage, teils widersprüchlich. Er sagt zunächst „in einigen Fällen“ werden die aufgerollten Kunstrasenbeläge einfach wieder verwendet für neue Plätze. Alle anderen Beläge werden zu Container-Diensten gebracht. Was danach mit ihnen passiere, das läge nicht mehr im Verantwortungsbereich der Firma. Wo sich diese Container-Dienste befinden, will er nicht sagen. Am Ende des Telefonats korrigiert er seine Aussage. Nun sind es nicht mehr nur einige, sondern „die meisten“ Kunstrasenbeläge werden einfach für neue Plätze wieder verwendet.

„Das ist Quatsch und auch die Container-Dienste gibt es nicht“, sagt Re-Match-Gründer Dennis Andersen. Entweder sie verrotten in Lagerflächen oder landen in Verbrennungsanlagen im Ausland.“ Und die Umwelt? Die freut sich wenig. Denn dadurch werden tonnenweise Kohlendioxid in die Luft geblasen. Auch Kunstrasen-Experte Michael Plüm aus Wernigerode sagt: „Re-Match ist die einzige Firma, die Plätze mit einer so hohen Quote recycelt. Was mit den anderen Plätzen passiert, danach fragt kaum jemand.“

Nach Angaben des Deutschen Fußball-Bundes gibt es bundesweit rund 5000 Kunstrasenplätze. Sie sind pflegeleichter, robuster, das ganze Jahr über kann auf ihnen gespielt werden – und sie sind dementsprechend beliebt bei Vereinen.

Einer Berechnung der Europäischen Beobachtungsstelle für Wissenschaft und Technologie zufolge, haben allein im vergangenen Jahr weltweit 59 Millionen Quadratmeter Kunstrasen auf ihren Austausch gewartet. Ein durchschnittliches Fußballfeld hat eine Fläche von 7000 m². Nach Angabe des Chefs einer der großen drei Firmen berechnet sein Unternehmen pro Quadratmeter mindestens einen Euro für die Abtragung, eher 1,50 Euro/m². Das wären rund 10.500 Euro pro Feld. Ein Millionen-Geschäft. Das zudem noch unsichtig ist und kaum kontrolliert wird. Auf die Frage, wie die Entsorgung von alten Kunstrasenbelägen denn gesetzlich gereglt ist und wer diese Entsorgung kontrolliert, erklärte eine Sprecherin des Umweltbundesamts, dass sich dort niemand mit der Thematik Entsorgung und Recycling von Kunstrasen beschäftigt. Das Thema werde nicht bearbeitet.

In Deutschland regelt das Kreislaufwirtschaftsgesetz die Entsorgung von Abfällen. Eine fünfstufige Pyramide veranschaulicht, wie mit Abfall umgegangen werden sollte. Ganz oben steht die Vermeidung. Geschenkt – denn die alten Beläge sind nun einmal da. Die nächsten beiden Stufen: Vorbereitung zur Wiederverwendung und Recyceln. Wie bereits bekannt, kann das nur Re-Match. Doch die dänische Firma übernimmt nur einen verschwindend geringen Anteil der alten Kunstrasenbeläge. Und die letzten beiden Stufen? Die wären „Verwerten“ und „Beseitigen“. Zum Beispiel in Verbrennungsanlagen. Auf Kosten der Umwelt. Und dieses Problem macht eine im Ansatz eigentlich gut gemeinte Debatte schnell scheinheilig.