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Statistik Deutschland vergleicht sich mit Europa

Weniger Arbeitslose als kaum irgendwo sonst, günstige Lebensmittel, aber an vielen Stellen Ungleichheit.

20.10.2017, 23:01

Berlin (dpa) l Mit der Sonne ist das so eine Sache: In Deutschland scheint sie 4,8 Stunden pro Tag. Da wird mancher Schwede neidisch, wenn er an seine 1,4 Sonnenstunden denkt. Zypern aber darf über beide milde lächeln: 9,3 Sonnenstunden sind Spitze in Europa, Deutschland ist Mittelmaß. Georg Thiel hält an einem trüben Berliner Herbsttag 700 Seiten Zahlen in seinen Händen und erklärt das Grundproblem jeder Statistik: Es sind Durchschnittswerte, für den Einzelnen kann es ganz anders aussehen. Thiel, der Vizepräsident des Statistischen Bundesamts, ist nach Berlin gekommen, um "ein Plädoyer für Europa in Zahlen" zu halten – gegen die Krisen-Schlagzeilen der vergangenen Jahre. Sein zweieinhalb Kilo schweres Statistisches Jahrbuch 2017 belegt: Deutschland geht es gut in Europa, aber die Unterschiede in der EU wie auch in Deutschland selbst bleiben groß. Ein Überblick:

Ob Brot, Obst oder Gemüse: Für 332 Euro kauft ein deutscher Haushalt monatlich Lebensmittel. Das sind zwar 50 Euro mehr als noch 2003. Doch gemessen an allen Konsumausgaben leben die Bundesbürger bei Nahrungsmitteln noch immer günstiger als die meisten anderen Europäer, wie Statistikerin Sibylle von Oppeln-Bronikowski sagt. "Von zehn Euro geben wir nur einen Euro für Essen und Trinken aus." Bei Franzosen sind es demnach 33 Cent mehr, bei Italienern 43. Rumänen legen sogar fast jeden dritten Euro ihrer Konsumausgaben für Lebensmittel hin. Bemerkenswert in Deutschland: Die Ausgaben für Alkohl und Tabak gehen seit Jahren zurück. Je Haushalt waren es zuletzt 42 Euro im Monat. 2003 gab jeder Haushalt noch drei Euro mehr dafür aus.

Wer in Vollzeit arbeitet, kommt im Schnitt auf 3045 Euro brutto pro Monat, so war es 2014, dem jüngsten Jahr, das einen Europa-Vergleich zulässt: Der EU-Durchschnitt liegt bei 2560 Euro. Deutschland liegt an achter Stelle. Doch weil die Preise hier niedrig sind, können nur Luxemburger und Iren sich für ihr Geld mehr kaufen als Deutsche. Die Spanne ist groß: Ein Däne verdient fast zehn Mal so viel wie ein Bulgare. Ein Gefälle tut sich aber auch in Deutschland auf: Im Osten verharren die Stundenlöhne bei unter 17 Euro, während sie in Hessen fast 23 Euro erreichen. Deutschland hat zudem die zweithöchsten Verdienstunterschiede zwischen Männern und Frauen. Und: Jeder Fünfte kann es sich nicht leisten, im Jahr eine Woche in Urlaub zu fahren.

Seit Jahren steigen in Städten und Ballungsräumen die Mieten. Doch weil gleichzeitig die Einkommen zulegen, wird Wohnen relativ gesehen nicht unbedingt teurer – jedenfalls im bundesweiten Durchschnitt. 859 Euro gibt ein Haushalt fürs Wohnen aus, also für die Miete oder die Ausgaben fürs Eigentum, jeweils mit Nebenkosten. Das sei knapp ein Viertel (24 Prozent) der Konsumausgaben – und damit EU-Durchschnitt. Im Dänemark sind es 30 Prozent, auf Malta 10 Prozent. Doch der Detailblick zeigt: Noch immer lebt bundesweit jeder Sechste in einem Haushalt, der mehr als 40 Prozent seines Einkommens fürs Wohnen ausgeben muss – und damit als überbelastet gilt. Das ist viel im EU-Vergleich, was auch daran liegt, dass nirgendwo in der EU so viele Menschen zur Miete leben wie in Deutschland.

Die Kurven der Statistiker beeindrucken: 2005 galt Deutschland mit einer deutlich zweistelligen Erwerbslosenquote als kranker Mann Europas. Daraus wurde einer der Besten, mit unter fünf Prozent im Jahr 2016, als noch jeder vierte Grieche und jeder fünfte Spanier erwerbslos war. Deutschland hat nach Tschechien die niedrigste Erwerbslosigkeit in der EU, junge Leute finden nirgends einfacher eine Stelle. Andere Zahlen des Bundesamts zeigen aber: Mini-Jobs, Befristungen, Teilzeitjobs und Zeitarbeit haben stark zugenommen.

"Die Zahlen zeigen, wie eng die Staaten der Europäischen Union miteinander verflochten sind – politisch, sozial, finanziell und gerade auch wirtschaftlich", sagt Thiel. 59 Prozent der deutschen Ausfuhren gingen 2016 in Länder der EU, 58 Prozent der Importe kamen von dort. Millionen EU-Ausländer leben in Deutschland, hunderttausende Deutsche in den Nachbarländern. Die EU schichtet über Förderprogramme und Subventionen Milliarden um - doch ändert das etwas am Wohlstandsgefälle auf dem Kontinent? Thiel ist mit Blick auf die Zahlen zurückhaltend. "Führt die europäische Verzahnung zu einem Zusammenziehen der Schere? Da kann man nicht erkennen."