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Tag der Arbeit DGB-Chef fordert mehr Solidarität

Ob bei Flüchtlingen oder auf dem Arbeitsmarkt - Sachsen-Anhalts Gewerkschaftsboss wirbt um Solidarität.

01.05.2016, 23:01

Am Wochenende haben die Gewerkschaften für mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt geworben. Udo Gebhardt, Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Sachsen-Anhalt, erklärt im Volksstimme-Interview, warum der 1. Mai nach wie vor mehr ist als ein Feiertag. Und was er von der neuen Kenia-Koalition in Sachsen-Anhalt hält.

Herr Gebhardt, hat der 1. Mai für Sie immer noch die gleiche Bedeutung wie vor 20 Jahren?

Udo Gebhardt: Nicht nur wie vor 20 Jahren, sondern wie vor mehr als 100 Jahren. Wie damals ist dieser Tag auch heute für die Arbeitnehmer und die Gewerkschafter ein ganz wichtiger, um Botschaften an die Gesellschaft zu senden. Er ist natürlich auch ein Tag, an dem gefeiert wird.

Die Zeit der großen Massenkundgebungen scheint allerdings zumindest vorübergehend vorbei zu sein.

Also ich bin seit mehr als 20 Jahren auf Kundgebungen zum ersten Mai unterwegs. Es mag ja sein, dass die Teilnehmerzahlen je nach Wetter und Tageslaune schwanken, aber wichtig ist für uns, dass an diesem Tag die Gesellschaft auf uns schaut, dass die Medien über unsere Botschaften berichten.

Vergessen werden darf natürlich auch nicht, dass der Feiertag im Osten zu DDR-Zeiten oft für Propaganda missbraucht wurde, die Menschen hier den Tag erst nach der Wende wirklich als Tag der Arbeit feiern konnten. Ich bin deshalb sehr dafür, dass wir diese historische Tradition auch in Zukunft weiter pflegen.

Was sind in diesem Jahr für Sie die wichtigsten Botschaften?

Unser zentrales Motto lautet „Zeit für mehr Solidarität“. Und ich halte das wirklich für eine geniale Kreation, denn meiner Ansicht nach brauchen wir in vielerlei Hinsicht mehr Solidarität. Wir müssen sie gegenüber den Flüchtlingen zeigen, die vor Krieg und Terror geflohen und zu uns gekommen sind. Mehr Solidarität brauchen wir aber auch in der Arbeitswelt, wir müssen Lohndumping bekämpfen, die Regeln für Leiharbeit und Werkverträge verschärfen. Das ist nach Einführung des Mindestlohns eines unserer wichtigsten Anliegen. Mehr Solidarität brauchen wir aber auch mit jenen, die künftig von Altersarmut bedroht sein werden. Als DGB wollen wir beim Thema Rente kräftig Druck aufbauen und eine Kampagne bis zur Bundestagswahl führen, die unter anderem die Angleichung der Ost- und Westrenten zum Ziel haben wird.

Nicht zuletzt die wachsende Ablehnung gegenüber Flüchtlingen zeigt allerdings, dass viele momentan offenbar nicht willens sind, sich solidarisch zu zeigen.

Aber einer muss es ja machen. Und ich denke, die Politik sollte sich endlich etwas einfallen lassen, wie sie die verunsicherten Menschen in Krisenzeiten besser mitnimmt. Wir als DGB wollen unseren Teil dazu beitragen, denn es gibt ja auch Gewerkschafter, die zuletzt AfD gewählt haben. Mit denen wollen wir reden, ihnen dabei auch verdeutlichen, dass die Partei alles andere als arbeitnehmerfreundlich ist. Aber auch die Parteien müssen sich bewegen.

Viele Menschen sind ja auch deshalb so verärgert, weil die Politik sie schon seit Beginn der Flüchtlingskrise nicht mitgenommen hat. Bereits im Spätsommer vergangenen Jahres hatte ich zum Beispiel an die Landesregierung appelliert, am besten stündlich über Maßnahmen im Zusammenhang mit der Krisenbewältigung zu berichten. Tatsächlich wurden die Menschen jedoch oftmals überrumpelt.

Nun hat sich in Sachsen-Anhalt die Kenia-Koalition aus CDU, SPD und Grünen zusammengefunden. Was halten Sie vom Koalitionsvertrag?

In Anbetracht des Wahlausgangs waren wir von vorneherein der Ansicht, dass die Bildung der Kenia-Koalition den einzig vernünftigen Weg darstellt. Insofern sind wir zufrieden, dass das auch geklappt hat. Ein endgültiges Bild vom Koalitionsvertrag haben wir uns noch nicht gemacht, wir sind derzeit dabei, ihn zu analysieren. Bei einer Koalition aus drei Parteien liegt es allerdings auch auf der Hand, dass ein solcher Vertrag viele Kompromisslösungen beinhaltet.

Positiv finde ich, dass die Koalition wieder mehr soziale Beschäftigung schaffen will. Dass dauerhaft Arbeitslose, die keine Chance mehr auf reguläre Beschäftigung haben, sich künftig wieder auf Stellen als Bürgerarbeiter bewerben können.

Negativ finde ich dagegen die Aussagen, die die Koalition zur Nutzung der Braunkohle getroffen hat. Nun will ich nicht gleich den Teufel an die Wand malen und behaupten, dass die 13 000 Arbeitsplätze, die wir in diesem Bereich haben, in Gefahr sind. Aber wir machen uns schon große Sorgen, wie es im Zuge der Energiewende mit dieser Branche weitergehen wird, wenn man sich eines Tages von der Kohle verabschieden will. Nichtsdestotrotz ist es für uns zunächst einmal wichtig, dass sich die drei Parteien zusammengerauft haben.

Was sind denn grundsätzlich aus Ihrer Sicht die wichtigsten Baustellen der Koalition für die kommenden Jahre?

Die Koalition hat sich ja bereits dazu bekannt, mehr Lehrer und Polizisten einzustellen. Als Gewerkschafter werden wir natürlich genau analysieren, inwiefern sich die Koalition um gute Arbeit, gute Bildung und handlungsfähige Kommunen kümmert.

Im September wollen Sie in Rente gehen, hätten aber eigentlich noch etwas länger Ihr Amt als DGB-Chef bekleiden können. Warum nun der vorzeitige Abschied?

Ich genieße an der Stelle die Vorteile meines Arbeitgebers, ich habe von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, ein halbes Jahr früher zu gehen. Das ist ein ganz normaler Vorgang und mir sind eben auch die Familie, meine Enkelkinder wichtig.

Mit der Kritik, Sie hätten im Landtagswahlkampf zu viel Sympathien gegenüber Regierungschef Reiner Haseloff (CDU) gezeigt, hat das also nichts zu tun?

Das ist ja nun schon lange her und da gab es ja auch interne Aussprachen innerhalb des DGB. Das hat damit also nichts zu tun, schließlich hätte man mich ja im Zweifelsfall sonst auch abwählen können.