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Weniger Insolvenzen Flöther: „Risiko für Volkswirtschaft“

Insolvenzverwalter Lucas Flöther erklärt, warum die sinkende Zahl der Firmenpleiten gefährlich ist.

14.07.2016, 23:01

Volksstimme: Herr Flöther, im vergangenen Jahr war die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in Deutschland so niedrig wie seit Mitte der Neunzigerjahre nicht mehr. Warum ist das nicht nur ein gutes Zeichen?

Lucas Flöther: Die sinkende Zahl der Unternehmens-Insolvenzen birgt ein erhebliches Risiko für die deutsche Volkswirtschaft. Derzeit gibt es zu viele Unternehmen am Markt, die eigentlich nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Durch die gute Konjunktur werden die Probleme dieser Firmen aber überdeckt. Hinzu kommt der einfache Zugang zu neuem Kapital. Das billige Geld hält Unternehmen am Leben, die normalerweise längst aus dem Markt ausgeschieden wären.

Warum ist das gefährlich?

Diese Entwicklung setzt den Selbstreinigungsmechanismus der Marktwirtschaft außer Kraft. Eigentlich ist es in der Wirtschaft ein bisschen so wie im Tierreich: Nur die Besten, Stärksten und Schnellsten überleben. Alle anderen scheiden aus dem Markt aus.

Warum kommen kriselnde Unternehmen derzeit so einfach an Geld?

Das liegt vor allem an der Niedrigzinsphase. In Zeiten, in denen bei einigen Großbanken Negativzinsen auf Spareinlagen fällig werden, suchen Anleger händeringend nach Möglichkeiten, ihr Geld gewinnbringend zu vermehren. Dabei wird offenbar nicht immer allzu genau hingeschaut und auch auf Risiko gespielt. Gerade für den Mittelstand haben sich die Finanzierungsstrukturen in der jüngsten Vergangenheit komplett verändert. Während früher Sparkassen oder Großbanken Kreditgeber für kleinere Firmen waren, boomt heute der graue Kapitalmarkt. Mittelständler geben Anleihen aus oder zeichnen Bonds. Diese Arten von Finanzierungen spielten früher nur bei Konzernen eine Rolle.

Eine herkömmliche Bank hätte bei Firmen in Schieflage den Ofen vermutlich längst ausgeblasen.

Genau da liegt das Problem. Kriselnde Unternehmen besorgen sich frisches Geld und verlängern dadurch nur die eigene Leidenszeit. Denn das eigentliche Problem ist nicht gelöst. Sobald die gute Konjunktur und die Nachfrage nachlassen, ist der Effekt umso heftiger.

Sie sagen, dass der Selbstreinigungsmechanismus der Marktwirtschaft so außer Kraft gesetzt werde. Welche Auswirkungen hat das auf gesunde Unternehmen?

Gut wirtschaftenden Unternehmen wird es so schwerer gemacht, kriselnde Konkurrenten vom Markt zu drängen. Das heißt, momentan herrscht ein viel schärferer Wettbewerb als unter normalen Bedingungen. Die Folge sind geringere Gewinne. Das kann dazu führen, dass eigentlich gesunde Unternehmen mit guten Produkten ihrerseits in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Durch die derzeitige Situation wachsen zudem keine neuen Unternehmen mit innovativen Ideen nach. Im Markt fehlt frischer Wind. Das führt dazu, dass die gesamte deutsche Wirtschaft an Dynamik verliert.

In Sachsen-Anhalt verlaufen die Zahlen ein wenig gegen den Bundestrend. Die Zahl der Insolvenzen ist hierzulande im ersten Halbjahr leicht gestiegen. Wie interpretieren Sie das?

Die Zahl der Unternehmenspleiten schwankt von Quartal zu Quartal. Das würde ich also nicht überbewerten. Festzuhalten ist aber, dass die Insolvenzzahlen im Osten Deutschlands kontinuierlich höher sind als im Westen. Viele Unternehmen in den neuen Bundesländern verfügen über zu wenig Eigenkapital und fallen bei der kleinsten Windböe um. Das ist auch eine Folge der Geschichte. Den Firmen in Ostdeutschland fehlen mindestens 30 Jahre, die Traditionsbetriebe im Westen hatten, um genügend Eigenkapital aufzubauen.