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Werksschließung Traditionswerk muss schließen

41 Jahre nach der Gründung schließt die Kerzenfabrik in Salzwedel am Monatsende. Die Produktion ist bereits gedrosselt.

Von Antonius Wollmann 30.05.2018, 01:01

Salzwedel l Wenige Tage vor seinem Abschied geht Klaus-Dieter Middelhoff noch einmal durch die Hallen der Kerzenfabrik. Macht mit seinem Handy Fotos von den leeren Regalen und der letzten Produktionsanlage, die noch läuft. Er hält auf den Bildern fest, was endgültig verloren ist: Sein Arbeitsplatz. Am Donnerstag stellt das Salzwedeler Traditionsunternehmen nach 41 Jahren für immer seine Produktion ein. Die Herstellung der Kerzen wird vom Mutterkonzern KCB Candle Company nach Polen verlagert. Im September des vergangenen Jahres hatte das Unternehmen die Entscheidung bekanntgegeben.

Seit Dezember wurden die Mitarbeiter nach und nach freigestellt. Nun müssen auch die letzten verbliebenen gehen. „Wahrscheinlich werde ich einfach mein Büro abschließen und danach den Schlüssel in den Briefkasten schmeißen. Eine offizielle Verabschiedung gibt es ja nicht“, erzählt Klaus-Dieter Middelhoff während seines Rundgangs durch Produktions- und Lagerhalle.

In den vergangenen Wochen hat er sein Büro ausgeräumt. Akten mussten geschreddert, die persönlichen Gegenstände wie Fotos in Kartons gepackt werden. Was sich so geschäftsmäßig anhört, ging nicht spurlos an dem 63-Jährigen vorbei. Wie es halt so ist, wenn mehrere Jahrzehnte in Kisten verschwinden. „Ich muss zugeben, dass die Wehmut schon sehr groß ist. Die Kerzenfabrik war ein Teil meines Lebens“, sagt der Logistik-Chef.

Unweit des Firmengeländes ist er im Salzwedeler Ortsteil Stappenbeck aufgewachsen, als auf dem Gelände noch keine Kerzen, sondern Leim hergestellt wurde. Seit 1907 existierte der Industriestandort am Stadtrand. Überall hätten Knochen, aus denen der Leim hergestellt wurde, gelegen. Der Gestank sei unerträglich gewesen.

1977 hatte der Klebstoff ausgedient. Die „Kerze“, so die Salzwedeler Abkürzung für die Fabrik, wurde hochgezogen. Dem Volkseigenen Betrieb (VEB) Wittol Wittenberg zugeordnet, investierten die Verantwortlichen im großen Stil in den Salzwedeler Standort. Dank der modernen Technik produzierte das Werk schon Anfang der 80er Jahre knapp 36.000 Kerzen pro Stunde. Es wird wohl kaum einen Haushalt im damaligen Bezirk Magdeburg gegeben haben, in dem keine Salzwedeler Kerzen brannten. Fast die Hälfte der Produktion ging außerdem ins Ausland.

Klaus-Dieter Middelhoff fand dabei den Weg zur „Kerze“ nur über Umwege. Eigentlich hatte der gelernte Elektriker nach seiner gelungenen Meisterprüfung den Plan, sich selbständig zu machen. Allein die Gewerbegenehmigung wurde nicht erteilt. Im Nachhinein ein Glücksfall.

Innerhalb des Betriebes machte er schnell Karriere. „Ich habe als Einrichter begonnen, wurde danach Produktionsmeister und habe mich im Jahre 1985 dann auf die IT konzentriert“, erinnert er sich. Er habe davon profitiert, dass der VEB auf Computertechnik umgesattelt hatte, um die Qualität der Produktion zu erhöhen. Nach der Wende dann eine neue Tätigkeit: Er wechselte in den Vertrieb, übernahm dort die Leitungsposition. „Das Jahr 1990 war natürlich ein Einschnitt. Von 200 Angestellten blieben nur 80 übrig. Trotzdem ist es uns gelungen, zu überleben“, blickt er zurück.

Während er von seinen Anfangstagen im Betrieb erzählt, betrachtet Klaus-Dieter Middelhoff die leeren Paletten in der Lagerhalle. Zu Hochzeiten wurden 52.000 von ihnen im Jahr verladen. 1,9 Millionen Kerzen liefen nach der Wende täglich von den Bändern. 25 Lkw verließen pro Tag das Betriebsgelände. Das Möbelhaus Ikea und die Drogeriekette Schlecker gehörten zu den wichtigsten Abnehmern.

Kurz vor der Schließung der Fabrik ist die Produktion fast auf null zurückgefahren. Middelhoffs Kollege Michael Bluhme packt die letzten Pakete. Zwei Gabelstaplerfahrer machen sie für den Abtransport bereit. Die Mutterfirma hat die beiden Fahrer aus ihrem deutschen Hauptsitz in Frechen (Nordrhein-Westfalen) in die Altmark delegiert. Um die Arbeitsmoral ist es bei der verbliebenen Belegschaft nicht mehr gut bestellt. „Der Krankenstand ist verständlicherweise sehr hoch. Bei vielen ist die Stimmung am Tiefpunkt“, beschreibt Klaus-Dieter Middelhoff die Gefühlslage seiner Kollegen. Angesichts eines Durchschnittsalters von mehr als 50 Jahren geht die Angst vor der Arbeitslosigkeit um. Industriearbeitsplätze sind in der Altmark Mangelware. Da ist auch der vereinbarte Sozialplan nur ein schwacher Trost.

Klaus-Dieter Middelhoff kennt diese Furcht. Nachdem das Aus offiziell war, habe er mehrere Wochen kaum schlafen können. Mittlerweile habe er sich mit dem Schicksal abgefunden. Die verbleibenden zwei Jahre bis zur Rente wird er wohl Arbeitslosengeld beziehen.