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Erkundungstour auf amerikanisch

Eine kurzfristig angesetzte Stadtführung durch Genthin rettete 66 Besuchern aus den USA das Programm ihrer Schiffstour durch die ostdeutschen Binnengewässer.

Von Mike Fleske 27.09.2016, 07:00

Genthin l Eigentlich sollte die MS Frederic Chopin auf Elbe und Moldau zwischen Potsdam, Magdeburg, Dresden und Prag unterwegs sein, aber aufgrund besonderer Umstände musste die Flusskreuzfahrt in Genthin für geraume Zeit unterbrochen werden. „In Magdeburg ist im Moment Niedrigwasser und wir können die Elbe nicht befahren“, war von der Besatzung zu hören. Dadurch hatten die 66 Passagiere, unter ihnen Touristen aus Texas, Washington und Kalifornien, Aufenthalt in Genthin. Am Anleger hinter den Einkaufsmärkten an der Bergzower Straße ging das Reiseschiff vor Anker. In der Genthiner Touristinformation wurde kurzfristig ein Programm organisiert, das Tom Golke von der Gruppe Genthin 2020, QSG-Chef Lars Bonitz und die frühere Englisch-Lehrerin Sabine Nürnberg gestalteten.

Golke begrüßte mit Gitarre und Gesang die Besucher musikalisch mit dem Robbie-Williams-Stück „Angels“ und passend zum Treffpunkt am Elbe-Havel-Kanal „Down by the Riverside“. Besonders Sabine Nürnberg ging in der Rolle der Stadtführerin auf, erläuterte in englischer Sprache die Geschichte Genthins, ging auf die Umbrüche nach der Wende ein und bezog die Besucher immer wieder in ihren Vortrag ein.

„Ich habe mich in nur drei Tagen auf die Führung vorbereitet“, erzählte sie am Rande. Dafür habe sie ihr Wissen durch das Nachlesen im Internet und in Büchern aufgefrischt und Fakten zusammengetragen, die für die zumeist älteren Besucher interessant sein könnten. Für die Führung wurden die Teilnehmer auf zwei Gruppen aufgeteilt.

„Die Reisenden sind Besucher aus den USA, die auf den Spuren ihrer Vorfahren wandeln“, erläuterte Board-Guide Theresa. Einige der Reisenden seien als junge Soldaten während des Kalten Krieges in Westdeutschland stationiert gewesen und wollten nun auch den anderen Teil Deutschlands, aber auch Osteuropa, kennenlernen.

„Viele haben aber auch Verwandte, die einst aus Europa in die USA ausgewandert sind.“ Wie etwa bei einer Dame aus Texas, deren Vorfahren aus dem polnischen und tschechischen Ländern stammten. „Sie sind vor dem Ersten Weltkrieg in die USA gegangen und damals in New York auf Ellis Island angekommen.“ Heute wolle sie die einstige Heimat ihrer Vorfahren kennenlernen.

Der Zwischenstopp in Genthin gefalle ihnen, berichteten einige Reisende. Vor allem weil sich das Stadtführungsteam ein wenig einfallen ließen. Sabine Nürnberg hatte mit ihrer Bekannten Christine Micheels einen Besuch abgesprochen. „Ich komme mit einigen Besuchern in deinen Garten“, berichtete die Genthiner Ärztin mit einem Schmunzeln.

Am Ende kamen über 30 amerikanische Touristen und bewunderten die zahlreichen Pflanzen und Bäume, zu denen Kirsch- und Apfelbäume wie auch Rosen und Ziersträucher gehören. „Das ist ein kleines Paradies“, befand ein Besucher. „Den Deutschen ist ein schöner Garten sehr wichtig, er ist für viele Teil des Wohnens“, erläuterte Sabine Nürnberg. Die Besichtigungstour ging weiter auf den Genthiner Marktplatz, wo die Besucher im Bunker sieben Meter unter die Erde steigen konnten.

Zurück auf dem Marktplatz trafen die Reisenden auf Thomas Barz, den die Amerikaner herzlich begrüßten. „Aha, Sie sind der Chef der Stadt“, meinten sie fröhlich, nachdem sie zu Beginn der Tour versehentlich Lars Bonitz für den Genthiner Bürgermeister gehalten hatten.

Die Reisegruppen wurden in der Genthiner St. Trinitatiskirche vereint, wo sie von Tom Golke empfangen und über die Geschichte des evangelischen Gotteshauses informiert wurden. In perfektem Englisch erläuterte er das Bauwerk und dass viele Menschen besonders in der Weihnachtszeit einen besonderen Bezug zu den Kirchen hätten. Zuvor hatte Sabine Nürnberg auf eine Besonderheit aufmerksam gemacht. „In Deutschland sind die Kirchen oft der Mittelpunkt der Ortschaften.“

Wolle man sich orientieren, müsse man nur nach den Kirchtürmen schauen. Auch die katholische St. Marienkirche schauten sich die Reisenden an. Zwischendurch erläuterte Sabine Nürnberg noch Wissenswertes zum Gymnasium, das nicht nur Bismarcks Namen trage, sondern auch aus drei ganz unterschiedlichen Gebäuden bestehe. Damit endete der Stadtrundgang aber noch nicht.

„Den Wasserturm haben wir nur von außen besichtigt“, berichtete Mitorganisator Lars Bonitz. Die Besucher hätten die 232 Stufen bis zur Aussichtsplattform nicht mehr erklimmen wollen. Dennoch sei es auch für ihn nicht alltäglich gewesen, eine solch große Reisegruppe in Genthin begrüßen zu dürfen. „Das haben wir wahrlich nicht alle Tage.“