1. Startseite
  2. >
  3. Varia
  4. >
  5. Journalisten im Verkehrstest

Fahrschule Journalisten im Verkehrstest

Würden Sie nochmal die Führerschein-Prüfung bestehen? Volksstimme-Mitarbeiter Petra Hartmann und Malte Schmidt wollten es wissen.

Von Malte Schmidt 05.08.2017, 01:01

Gardelegen l Pünktlich um 8 Uhr fanden sich die beiden Führerscheinprüflinge vor der Fahrschule von Bernd Gadge ein. Der 53-Jährige, der seit 1990 Fahrlehrer ist und seit 1994 eine eigene Schule betreibt, war so nett, die beiden Journalisten einem Praxistest zu unterziehen und sie unter Prüfungsbedingungen durch Gardelegen fahren zu lassen.

Jeder der beiden absolvierte eine rund 30-minütige Fahrt durch die Hansestadt, musste durch enge Gassen fahren, eigenständig Vorfahrtssituationen erkennen, auf das Tempo achten und zeigen, wie er sich im Straßenverkehr verhält. Also alles, was er normalerweise beim Autofahren auch tut – oder zumindest tun sollte.

Zum Abschluss gab es für jeden eine kurze Besprechung mit zahlreichen Hinweisen auf Fehler. Es war doch einiges, was sich bei den beiden im Laufe der Jahre so eingeschlichen hatte. Das Fazit des Fahrlehrers: Wäre diese Rundfahrt durch die Hansestadt tatsächlich eine Prüfungsfahrt gewesen, dann hätte keiner von beiden den Führerschein erhalten. Lesen Sie hier ihre Fahrtberichte ...

Okay, legen wir also los. Ich habe seit 1986 den Motorradführerschein, seit 1990 darf ich Auto fahren, lege jedes Jahr mehr als 50.000 Kilometer zurück, und mein Flensburger Punktekonto ist so sauber wie mein Sparkassenkonto drei Tage vor dem Ersten. Es müsste demnach  zu schaffen sein. Hoppla, ganz schön spritzig, dieses Baby. Der Golf reagiert doch etwas ruckartiger als mein kleiner Panda. Die Kupplung kommt jedenfalls ziemlich unsanft, als säße da ein Halbstarker am Steuer. Mist. Was mag der Prüfer jetzt denken? Fahrlehrer Bernd Gadge bleibt gelassen. „Wir wollen jetzt rechts abbiegen", sagt er ruhig. Na, dann wollen wir das mal machen. Den Blinker setzen kann ich. Die Ampel ist rot.  Ich warte. Rotgelb. Grün. Nicht abgewürgt. Schulterblick. Perfekt. Ich biege in die Ernst-Thälmann-Straße ein. Hundertmal hab ich das schon gemacht. Aber diesmal komme ich mir vor, als säße ich auf rohen Eiern. Immer wieder suche ich mit den Augen den Tachozeiger. Wirklich nur 50 Stundenkilometer innerorts? Bis vor einer Minute dachte ich noch, ich hätte das im Gefühl. Aber in diesem Golf scheint irgend etwas mit meinem Gefühl nicht zu stimmen, die Tachonadel zittert sich immer wieder nach oben. Bei mir zu Hause sagt man ja: „Ach watt, zehn drüber kannste." Aber nicht bei einer Fahrprüfung, klar.

„Und bei der nächsten wollen wir rechts abbiegen." Ich setze den Blinker. Schaue mich um. Bei jedem „rechts abbiegen" oder „links abbiegen" werden die Straßen enger und die Kreuzungen und Einmündungen verwinkelter. Hier muss wohl rechts vor links gelten, oder habe ich ein Schild übersehen? Welcher Prüfling weiß das schon so genau? „Das hier ist übrigens der einzige innerörtliche Bahnübergang in Gardelegen", klärt mich Bernd Gadge auf, als ich über die Schienen rumpele. Aha, wieder was gelernt. Ich wende in einem Wendehammer, dann irgendwann habe ich Kopfsteinpflaster unter mir, sehe aus dem Augenwinkel ein rundes Schild mit einer „30". Nein, dass darunter ein Zusatzschild angebracht war mit den Uhrzeiten, für die diese Geschwindigkeitsbegrenzung gilt, konnte ich im Vorbeifahren nicht mehr lesen. Egal. Für zu langsames Fahren kann man ja wohl nicht durchfallen. Fahrlehrer Gadge bleibt ruhig. Bisher waren alle meine Fahrlehrer Choleriker. Zumindest hinterher. Als wir uns dem Rathausplatz nähern, bin ich vollkommen irritiert. Straßen, durch die ich schon seit einem Dreivierteljahr jeden Morgen fahre, sind plötzlich gesperrt wegen des Hansefestes. „Wo lang?", frage ich. „Wo dürfen Sie langfahren?", kommt gelassen die Gegenfrage. Bleibt eigentlich nur noch die enge Einbahnstraße. Blinken. Schulterblick. Rein. Scheint zu passen. Einparken darf ich ganz komfortabel vorwärts auf dem halbleeren Lidl-Parkplatz. Die Boxen rechts und links sind frei. Prima, das kann ich. Ich drehe den Schlüssel um. Fertig.  Und? Bestanden? Gekracht hat es ja wohl nicht unterwegs?

„Nicht bestanden", sagt der Prüfer. Zuerst glaube ich ja noch, er will mich veralbern. Aber er bleibt ernst. „Sie haben ein Stoppschild überfahren." Was denn? Ich? Niemals! Seit ich 1986 mit dem Motorrad mein erstes und einziges Stoppschild überfahren habe und mir mein Fahrlehrer, dieser Choleriker, übers Funkgerät  alle Kraftausdrücke dieser Welt ins Ohr gebrüllt hat, hat sich mein Trommelfell nicht mehr richtig erholt, und ich habe einen Heidenrespekt vor Stoppschildern. Ich würde niemals eines missachten. „Doch", sagt Bernd Gadge ernsthaft. „Am Platz der Freiheit, Stendaler Straße. Das steht etwas versteckt." Außerdem hätte ich mich kurz davor in der Einbahnstraße komplett nach links einordnen müssen. Hä? In der engen Straße kann man sich überhaupt nirgends „einordnen". Und sonst? „In der Schillerstraße sind Sie mehr als 30 Stundenkilometer gefahren." Ja, das gebe ich zu. Schuldig im Sinne der Anklage. Immerhin gibt es ein Lob für meinen Schulterblick, der sei ihm sehr positiv aufgefallen. Klar, als ehemaliger Motorradfahrer war das meine Lebensversicherung. Und ich weiß ja, wie man sich fühlt, wenn Autofahrer einfach so vor einem abbiegen. Das Fazit: Ich bin ein typischer Fahrer für mein beinahe biblisches Alter. „Wir verstoßen bewusst gegen Regeln und vertrauen auf unsere Erfahrung." Nett gesagt. Und wenn ich nun auf meine alten Tage wirklich nochmal zur Prüfung müsste? „Dann müssten auf jeden Fall ein paar Sachen korrigiert werden", sagt Fahrlehrer Gadge. Gut, dass ich noch ein blütenweißes Punktekonto habe, denke ich. So, und nun will ich mal sehen, ob der Kollege Malte Schmidt dieses ominöse Stoppschild besser sieht als ich.

Schweiß bahnt sich seinen Weg an meiner Stirn entlang.  Langsam tropft er auf meine linke Hand. Aufregung macht sich breit. Egal – ich muss mich konzentrieren. Eigentlich kann gar nichts schief gehen – habe ich doch mit meinem Fahrlehrer vier Stunden lang, bis neun Uhr abends, alle Kreuzungen und Ampeln begutachtet, wo wir in der Prüfung lang kommen könnten – eigentlich. Ordnungsgemäß schnalle ich mich also an und stelle die Spiegel sowie die Höhe des Sitzes und den Lenkradabstand richtig ein – man, hat hier vorher ein Zwerg drin gesessen, denke ich mir und schüttle nervös den Kopf. „Ist alles gut bei Ihnen?", fragt mich der Prüfer. „Ehm, ja, danke der Nachfrage", entgegne ich ihm zögerlich. „Na dann zeigen Sie mal, was Sie gelernt haben." Worte, die jeder Fahrschüler hören möchte, um die Nervosität zu verlieren. Jetzt gilt es: Ich drehe also den Zündschlüssel um, setze den Blinker nach links und schaue über meine Schulter, ob ich fahren kann, lasse die Kupplung kommen. „Jetzt kann nichts mehr schief gehen", denke ich mir und ... Fahrschulwagen abgewürgt. Peinlich. „Nicht so schlimm, glauben Sie an das, was Sie können", höre ich noch heute den Prüfer sagen, der im September 2009 meine Prüfung abgenommen hat, die ich bestanden habe. Ungefähr so kann ich mich an den Tag meiner Fahrschulprüfung erinnern. Achteinhalb Jahre ist das jetzt her. In dieser Zeit habe ich mich, was das Autofahren betrifft, nicht immer mit Ruhm bekleckert, dafür aber Fahrpraxis dazugewonnen, glaube ich. Zum Glück weiß Fahrlehrer Bernd Gadge nicht, worauf er sich mit mir am Steuer einlässt ...

Jetzt gilt es. Klappe die zweite. Wie früher stelle ich alles sorgfältig ein, parke am Lidl-Parkplatz aus und fahre nach rechts in Richtung Kreisel. „Bitte im Kreisel die dritte Ausfahrt nehmen. Danach die erste Straße rechts rein", sagt Bernd Gadge freundlich. Gekonnt achte ich auf den Schulterblick  und biege in die Dr. Albert-Schweitzer-Straße ab. „Sehr gut gemacht", sagt der 53-Jährige. Ich freue mich und grinse wie ein Honigkuchenpferd – schwupp, nicht aufgepasst. „Sie wissen schon, dass Sie gerade zwei Vorfahrtsstraßen übersehen haben, Herr Schmidt?", fragt mich Bernd Gadge: So haben sich also die Argentinier in der 120. Minute gegen Deutschland bei der WM gefühlt. Erst Siegessicher, dann geschockt. Ja, ich wollte besser in dem Test abschneiden, als meine Kollegin Petra Hartmann – Pustekuchen. Zu meiner Verteidigung entgegne ich, dass die Vorfahrtsstraßen nicht gleich als solche deutlich zu erkennen war. Er nickt und gibt mir damit zumindest recht. Was mir jedoch auch nicht sonderlich weiterhilft, da ich binnen von ein paar Minuten die Fahrschulprüfung verhauen hätte, wenn es eine richtige gewesen wäre. „Ist nicht schlimm, das würde vielen Autofahrern passieren", versucht mich der nette Bernd Gadge zu beruhigen, der seit fast 30 Jahren den Job als Fahrlehrer machtt.

Übrigens zeigt auch eine nichtrepräsentative Umfrage der Internet-Plattform „vouchercloud.de": Die Mehrheit der deutschen Autofahrer gibt darin zu, dass sie nach eigener Einschätzung die Führerscheinprüfung heute nicht mehr bestehen würden. Was ich jetzt auch gut nachvollziehen kann. Von den knapp 2000 Befragten, die seit mindestens fünf Jahren eine Fahrerlaubnis besitzen, würden demnach 30 Prozent zum Bestehen noch eine oder mehrere Fahrstunden benötigen, 28 Prozent waren der Meinung, dass sie zum jetzigen Zeitpunkt durchfielen.Die Top Fünf der vermuteten Gründe, beim Test durchzufallen sind dabei: Schulterblick vergessen, beim Spurwechsel nicht geblinkt, zu schnell unterwegs gewesen, – deutlich an meiner Kollegin zu erkennen, die ohne Absicht mit dem doch recht spritzigen Volkswagen durch Gardelegen heizte – nicht genug Abstand eingehalten oder Vorfahrt missachtet, womit ich mich jetzt auch identifizieren kann.

Das Fazit: Ich habe kein Stoppschild überfahren, mich an die Geschwindigkeit gehalten und den Schulterblick beachtet. „Das muss man Ihnen anerkennen, Herr Schmidt. Trotzdem sind sie leider durchgefallen", sagt Bernd Gadge und lächelt. Ich muss ehrlich sagen, dass ich nicht geglaubt hätte, dass ich je eine Vorfahrtsstraße übersehen könnte. Und doch ist es passiert. Warum? Weil ich mich eine Sekunde zuvor gefreut und nicht darauf geachtet habe. Man sollte also sich niemals während der Fahrt – durch sich selbst oder andere – ablenken lassen. Mir persönlich hat die Nachprüfung bei Bernd Gadke sehr viel Spaß gemacht. Ich könnte mir allerdings nicht vorstellen, dass immer jemand neben mir sitzt, der mir beim Fahren meine Fehler aufzeigt. Da würde ich freiwillig den Führerschein abgeben – haha.