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Work in Progress Eine Queer Dyke, ein Trans-Mann und der Deadname

Es geht um sensible Themen wie Depressionen und Transsexualität - und dennoch ist die Comedyserie "Work in Progress" hochamüsant. Und jede(r) kann viel lernen - egal ob Homo, Hetero, Trans* oder CIS.

Von Gregor Tholl, dpa 07.08.2020, 09:25

Chicago (dpa) - Abby ist derb, dick, depressiv. "Work in Progress" heißt die Serie der Komikerin Abby McEnany (52) aus Chicago, in der die Hauptfigur den echten Namen der Darstellerin trägt und Realität und Fiktion zu verschwimmen scheinen.

"Semi-autobiographical" (halb- oder schein-autobiografische) Comedy oder Sitcom werden solche Formate heute öfter genannt. Deutsche Serien dieser Art sind zum Beispiel "Pastewka" oder "Jerks" (auf der dänischen Sitcom "Klovn" beruhend). International fiel etwa "Feel Good" auf, in der ebenfalls eine lesbische Hauptfigur ihre Psyche unterhaltsam aufarbeitet.

In "Work in Progress" - in Deutschland bei Sky zu sehen - geht es um die 45-jährige Abby voller Neurosen und Zwangsstörungen. Sie bezeichnet sich als Queer Dyke, was von Frauen im Angelsächsischen inzwischen als stolze Selbstbezeichnung benutzt wird, auf Deutsch wohl so viel wie "Kampflesbe" hieße.

Trotz Psychotherapie, guten Freundinnen und liebevoller Schwester mit Familie leidet die Butch (also nicht-feminin Aussehende) am Leben - und ärgert sich selbst am meisten darüber. Eines Tages stirbt ihre Therapeutin mitten in einer Sitzung, was Abby jedoch nicht daran hindert, weiter mit ihr zu reden - wenn auch nur als Foto auf dem Handy. Sie beschließt, sich in einem halben Jahr umzubringen, wenn sich ihr Leben nicht endlich vom Scheitern wegbewegt. Dieser 180-Tage-Countdown ist der Inhalt der ersten acht Folgen, eine zweite Staffel mit zehn Folgen ist bereits angekündigt.

Abbys Leben wendet sich tatsächlich zum Guten, als ihre Schwester Alison (Karin Anglin) sie mit Chris verkuppelt, dargestellt von Theo Germaine ("The Politician"). Dass Chris keine lesbische Frau, sondern ein (Trans-)Mann ist, ist eine der vielen Besonderheiten, die in dieser Serie - ursprünglich beim US-Pay-TV-Sender Showtime - nicht zum Problem gemacht werden.

Am Drehbuch arbeitete übrigens Lilly Wachowski mit, eine der Wachowskis ("Matrix"). Einziges Tabu in der Beziehung wird Chris' Deadname, also der nach der Transition abgelegte (weibliche) Vorname.

"Work in Progress" ist divers und queer - auch so ein Wort, was von seiner ursprünglich negativen Bedeutung als "seltsam, merkwürdig" eine Wendung erlebt hat - nämlich als positive Beschreibung für Offenheit in Gender-, Sex- und Identitätsfragen. Auch der kerlige Ehemann der Schwester hat in dieser Serie kein Problem mit seinem queeren Umfeld, fragt interessiert nach Begriffen wie CIS. Cisgender bezeichnet das Gegenteil von Trans*, also Menschen, bei denen das bei der Geburt zugewiesene Geschlecht mit der später entwickelten Identität übereinstimmt.

Das klingt jetzt alles womöglich theoretisch und verkopft, als wäre "Work in Progress" ein Seminar in Gender Studies. Doch Zuschauende müssen keine Angst haben, sich hier nicht wiederzufinden - und können eine Menge lernen, etwa wie anstrengend strafende Blicke auf der Damentoilette für eine angeblich zu männliche Dyke sind.

© dpa-infocom, dpa:200807-99-77326/3

Work in Progress