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ARD-Doku "Stammheim" - Der RAF-Prozess vor 40 Jahren

Der Prozess gegen die Spitze der RAF vor 40 Jahren spaltete das Land - und belastete eine Vater-Tochter-Beziehung, wie eine ARD-Dokumentation jetzt zeigt.

Von Esteban Engel, dpa 23.04.2017, 23:01

Berlin (dpa) - Die Justiz baute eigens ein Gebäude, der Staat erließ Sondergesetze und spionierte die Verteidiger aus, die Angeklagten traten in den Hungerstreik und nahmen sich am Ende das Leben: Im Prozess gegen die Rote Armee Fraktion (RAF) war nichts normal.

Zwei Jahre lang lieferten sich in Stuttgart-Stammheim Verteidiger und Angeklagte einen Nervenkrieg - mit tragischem Ausgang. 40 Jahre später zeigt die ARD, wie das Verfahren die Republik - und eine Familie - entzweite.

"Stammheim - Die RAF vor Gericht" heißt die Dokumentation, die an diesem Montag (23.30 Uhr) im Ersten läuft. Thomas Schuhbauer und Sonja von Behrens erinnern dabei an eine Zeit, die als "Deutscher Herbst" bis heute ihre Spuren hinterlassen hat.

Ulrike Meinhof, Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe hatten als Mitglieder der RAF dem Staat den Krieg erklärt. Gestützt auf ein Umfeld von Sympathisanten aus der Studenten- und Jugendbewegung, hatten die RAF-Terroristen vor allem die US-Armee in Deutschland im Visier. Als Antwort auf den "mörderischen Krieg" in Vietnam, verübten sie mehrere Anschläge, bei denen insgesamt vier Menschen getötet wurden.

Nach ihrer Festnahme rechnete die Öffentlichkeit mit einer Befriedung. Doch aus ihren Gemeinschaftszellen versuchten die RAF-Gefangenen den Prozess zu politisieren. Über Kassiber steuerten sie die Unterstützer draußen, im Gerichtssaal ließen sie den Konflikt unter anderem mit wüsten Beleidigungen gegen das Gericht eskalieren.

Mit harter Hand versuchte der Vorsitzende Richter Theodor Prinzing den Prozess zu steuern - zuweilen am Rande der Legalität. Mit den Verteidigern lieferte er sich messerscharfe Redegefechte, entzog den Anwälten immer wieder das Wort. Sie hätten versucht, "ein erträgliches Verhandlungsniveau" zu erlangen, sagt der damalige Verteidiger Hans-Christian Ströbele im Film. Vergeblich.

Mit seiner starren Haltung unterliefen Prinzing auch Fehler. Auf ein Versöhnungszeichen von Ulrike Meinhof kurz vor ihrem Selbstmord in der Zelle, reagierte Prinzing nicht. "Ich habe das damals nicht verstanden", sagt der heute 91-Jährige.

Prinzing enthüllt im Film auch, dass die eigens für den Prozess erlassenen Sondergesetze auf Hinweise seines Gerichts zurückgingen. Oft agierte er hilflos, manchmal herrisch. Nach 84 Befangenheitsanträgen gab er schließlich auf.

In dem Film sprechen der frühere Richter und seine Tochter Gabriele auch über das Drama, das die Familie Prinzing damals spaltete:  Während der Vater über das Schicksal der RAF-Leute zu entscheiden hatte, gehörte die Tochter dem Kreis der Sympathisanten an. Ein Video zeigt Gabriele auf einer Solidaritätsveranstaltung für den bei einem Hungerstreik gestorbenen RAF-Häftling Holger Meins.

Von einem "Prozess gegen eine ganze Generation" spricht der Theaterregisseur Claus Peymann, Gabriele Prinzing sieht das heute anders: "15 Jahre meines Lebens habe ich mich mit so einem Scheißdreck, mit so irrigen Gedanken auseinandergesetzt - und schäme mich dafür, dass ich keine Grenzen ziehen konnte." Am 18. Oktober 1977 nahmen sich Baader, Ensslin und Raspe in Stammheim das Leben. Ein Urteil wurde nie rechtskräftig.