TV-Tipp Das Unwort

Antisemitismus und Mobbing in einem Berliner Gymnasium thematisiert Leo Khasins ZDF-Film "Das Unwort" ernsthaft und humorvoll zugleich. Stars wie Iris Berben, Devid Striesow und Thomas Sarbacher spielen mit. Die Geschichte ist Auftakt eines Themenabends zum 9. November.

Von Ulrike Cordes, dpa 08.11.2020, 23:01
Conny Klein
Conny Klein ZDF

Berlin (dpa) - 75 Jahre nach dem Massenmord an den europäischen Juden gilt "Du Jude!" auf unseren Schulhöfen wieder als häufiger gehörte Beschimpfung. Ein Indiz für neu erstarkenden Antisemitismus, der hier umso schockierender wirkt, als es sich bei jungen Menschen um die Zukunft des Landes handelt.

Anschläge wie in Halle (Saale) 2019, als ein junger Rechtsradikaler versuchte, in eine Synagoge einzudringen, um die Gläubigen zu erschießen, und danach zwei Menschen tötete, erscheinen da gar nicht mehr so fern. Diesem bedrückenden Geschehen setzt das ZDF einen Fernsehfilm entgegen, der das Thema bei allem gebotenen Ernst ungewöhnlich gewitzt und unterhaltsam aufgreift.

"Das Unwort" heißt das mit Stars wie Iris Berben ("Nicht tot zu kriegen"), Devid Striesow ("Tatort"), Thomas Sarbacher ("Unsere wunderbaren Jahre") und Florian Martens ("Ein starkes Team") besetzte komödiantische Drama um eine furios aus dem Rahmen fallende Berliner Schulkonferenz. Am heutigen Montag, dem 9. November, dem Jahrestag der Nazi-November-Pogrome 1938, bildet das Ensemblestück von Leo Khasin ("Kaddisch für einen Freund") um 20.15 Uhr den Auftakt zu einem Themenabend über modernen jüdischen Alltag. Die Dokus "Hey, ich bin Jude! Jung. Jüdisch. Deutsch." von Jan Tenhaven (21.40 Uhr) sowie "Lebenszeichen - Jüdischsein in Berlin" (0.45 Uhr) schließen sich an.

Ob deutscher Nicht-Jude oder Jude, Antisemit oder Philosemit, Konvertitin oder Nachkomme von KZ-Überlebenden, Muslim oder Muslima - in "Das Unwort" kriegt jeder sein Fett weg. Dabei setzt das Drehbuch des 1973 in Moskau in eine jüdische Familie geborenen Regisseurs Khasin auf groteske Selbstentlarvung in pointierten Dialogen. Wenn in der Hitze des verbalen Gefechts die Selbstbilder bröckeln und versteckte Vorurteile ans Tageslicht drängen. Und auch die TV-Zuschauer dürfte dann und wann das Gefühl beschleichen, einen Spiegel vorgehalten zu bekommen.

Bei alledem sind die jüdischen Eltern Berlinger (Sarbacher, Ursina Lardi), die überforderte Lehrerin Ritter (Anna Brüggemann), der die Situation herunterspielende Direktor Stege (Striesow), der bodenständige Hausmeister Eichmann (Martens) und die Vertreterin der Schulaufsichtsbehörde, Dr. Nüssen-Winkelmann (Berben), eigentlich nur zusammengekommen, um einen Vorfall unter 15-Jährigen zu klären.

Der Gymnasiast Max Berlinger (Samuel Bento) hat seinem Mitschüler Karim (Oskar Redfern) ein Ohrläppchen abgebissen und einem anderen, Reza (Victor Kadam), die Nase gebrochen. Nun droht Max der Verweis von der Schule in einer gutbürgerlichen Gegend. Zeit für das Krisengespräch der Erwachsenen. Schnell stellt sich heraus, dass Max' Verhalten eine Reaktion war - auf seine Klassenkameraden, die ihn gemobbt haben, weil er Jude ist. In die daraufhin eskalierende Diskussion der Erziehungsberechtigten blendet der Film immer wieder das Verhalten der Klasse ein, die sich etwa von Frau Ritters Lehrstoff "Anne Franks Tagebuch" deutlich angeödet zeigt.

In Sprüchen wie "Jeder weiß, dass die Juden arrogant sind" (Reza) und "Ich liebe die Juden" (Lehrerin) bis hin zu "Ich will Köpfe rollen sehen" (Max' als Nichtjüdin geborene Mutter) markiert sich das Denken der jüngeren als auch der älteren Generation. Karims Mutter (Neda Rahmanian), die verspätet zur Konferenz kommt, sieht es so: "Hier in Deutschland nennt man die Dinge nicht beim Namen. Über Juden spricht man nicht - man spricht von jüdischen Mitbürgern." Schließlich verliert sogar noch die hyperkorrekt auftretende Behördenvertreterin die Nerven. Angewidert verlässt Max' Vater (Sarbacher), Sohn einer Auschwitz-Überlebenden, den Kampfplatz - um am Ende der Geschichte sein Scherflein zu einem guten Stück Hoffnung für alle beizutragen.

Iris Berben (70) wurde für ihren jahrzehntelangen Einsatz gegen Rechtsradikalismus und Ausgrenzung bereits mit dem Leo-Baeck-Preis des Zentralrats der Juden in Deutschland und dem Bundesverdienstkreuz Erster Klasse geehrt. Im ZDF-Presseheft erklärt die Schauspielerin, warum ihr nicht nur der Inhalt des Films, sondern auch die Leichtigkeit seiner Erzählweise am Herzen liegen. "Ich halte das für einen ganz klugen Weg, über ein Thema zu reden, das für viele Leute schon vorab mit einer Abwehrhaltung bedacht wird", meint Berben. In Zeiten sozialer Medien und damit fallender moralischer Hemmschwellen sei es zudem wichtiger denn je, vor Antisemitismus, Intoleranz und Vorurteilen jeder Art zu mahnen.

© dpa-infocom, dpa:201105-99-217098/2

Film