TV-Tipp Unorthodox

Gerade in diesen Zeiten kann eine gute Serie helfen. Netflix zeigt die Geschichte von Deborah Feldman, die aus einer ultraorthodoxen Gemeinde in New York geflohen ist.

Von Julia Kilian, dpa 25.03.2020, 23:01

Berlin (dpa) - Mit ihrem Buch "Unorthodox" hat sie einen Bestseller gelandet. Deborah Feldman schrieb ihre Memoiren in einem Alter, in dem andere gerade ans Studieren oder ans nächste Date denken.

Sie erzählt darin, wie sie in einer ultraorthodoxen jüdischen Gemeinde in New York aufwuchs, wie sie dort eine arrangierte Ehe einging - und wie sie mit ihrem Sohn aus dieser Welt floh.

"Eigentlich hat mein Leben heute nichts mit meiner Vergangenheit gemeinsam", sagt die 33-Jährige, die heute in Berlin lebt. Der Streamingdienst Netflix nimmt ihre Geschichte nun als Vorlage für eine neue Serie. Der Vierteiler "Unorthodox", der ab Donnerstag (26. März) zu sehen ist, zeigt eine ziemlich fremde Welt.

In der Serie heißt die Hauptfigur Esty. In den ersten Szenen sieht man, wie sie ein paar Sachen zusammenpackt und heimlich ihren Mann und ihre chassidische Gemeinde in Williamsburg verlässt. Die Satmar-Gemeinde lebt nach strengen Glaubensregeln.

Frauen müssen sich zum Beispiel die Haare abrasieren und Perücken tragen. Während ihrer Periode dürfen sie nicht von ihren Männern berührt werden. Esty freut sich zunächst auf die Ehe, aber vieles ist anders als erwartet. Sie will sich in Berlin ein neues und freies Leben aufbauen. Die Serie, die auf Jiddisch und Englisch gedreht wurde, zeigt eine Frau zwischen zwei Welten.

Die Serie basiert lose auf Feldmans eigener Geschichte. "Es gab immer wieder mal Interesse, das Buch in Amerika, in Hollywood zu verfilmen", sagt Feldman im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. "Das habe ich mir nicht vorstellen können." Das habe vor allem daran gelegen, dass männliche Regisseure oder Produzenten zu ihr gekommen seien und große Versprechen gegeben hätten.

Erst als sie die beiden Filmemacherinnen Alexa Karolinski ("Oma & Bella") und Anna Winger ("Deutschland 83") kennengelernt habe und sie eine Freundschaft aufgebaut hätten, habe sich das geändert. "Ich habe meine Geschichte diesen Frauen gegeben, und sie haben die Serie daraus gemacht", sagt Feldman. Sie sitzt auf ihrem Sofa in einer Berliner Altbauwohnung, ihr Hund Paco wuselt herum.

Feldman war in Talkshows und Diskussionsrunden zu Gast, hat nach "Unorthodox" auch das autobiografische Buch "Überbitten" geschrieben. In ihrem Wohnzimmer gibt es ein großes Bücherregal und an der Wand hängen Fotos von einem befreundeten Künstler, der sie mit Gebetsschal fotografiert hat. Den dürfen Frauen eigentlich nicht tragen.

Feldman spricht ziemlich überlegt und offen. In ihrem ersten Buch habe sie geschrieben, dass ihr Leben zweigeteilt sei. "Es gibt zwei Versionen meiner selbst. Es gibt eine Frau, die ich mal war. Und es gibt eine Frau, die ich werde", sagt sie. Es sei noch immer ein Kampf, diese beiden Seiten zusammenzubringen.

In ihren Texten schildert sie zum Beispiel, dass sie früher nur heimlich Bücher lesen konnte. Und wie schwierig es später war, mit ihrem Mann zu schlafen und welchem Druck sie deswegen ausgesetzt war. Nach dem Ausstieg lebte sie zunächst weiter in den USA. Ende 2014 zog sie nach Berlin. Sie habe dort schnell Freunde gefunden.

"Das wird ja auch in der Serie dargestellt - und man könnte meinen, das sei unrealistisch, weil niemand so schnell Freunde findet", sagt Feldman. "Das stimmt schon. Niemand findet so schnell Freunde - außer in Berlin." Konfrontiert wird sie aber auch mit der nationalsozialistischen Vergangenheit des Landes.

In der Serie sieht man, wie die Hauptfigur Esty mit Freunden zum Wannsee fährt - und einen Mann mit "Deutschland"-Tattoo sieht. Feldman hat ähnliches erlebt. "Ich war in einem Spaßbad außerhalb Berlins, kurz nachdem ich angekommen war, und sah ein Auschwitz-Tattoo", sagt sie. "Man ist in der Gegenwart, aber die Vergangenheit lauert einem überall auf. Und es ist ein Kampf, in der Gegenwart zu bleiben."

Während des Gesprächs rennt ihr Hund durch die Wohnung. In ihrem früheren Leben wäre das nicht möglich gewesen. "In meiner Gemeinde gab es keine Hunde, die waren verboten", sagt Feldman. Die Menschen hätten Angst vor Hunden gehabt, weil sie bei Pogromen eingesetzt worden seien. Es habe sehr lange gedauert, bis sie sich einen Hund angeschafft habe. "Aber jetzt ist er wirklich eine Ergänzung unseres Familienlebens. Das ist wirklich sehr schön."

In der Netflix-Serie bekommt Esty in Teilen eine neue Geschichte - vor allem die Rückblicke auf die Vergangenheit aber sind stark an Feldmans Biografie angelehnt. Bei den Dreharbeiten habe sie festgestellt, wie viele Aussteiger an der Serie beteiligt gewesen seien, etwa als Statisten, sagt sie. "Alle haben erzählt, was es für sie bedeutet, ihre Lebensgeschichte quasi in diesem Projekt vertreten zu sehen. Und da habe ich verstanden: Das geht ja gar nicht mehr um mich. Es geht um uns alle."

Die Serie sei sehr positiv geworden und erzähle viel über den Zeitgeist und die Möglichkeiten darin. Sie wolle niemandem sagen, was zu tun sei. "Aber ich wollte immer zeigen, dass es andere Lebenswege gibt und dass es möglich ist, sie zu verfolgen", sagt Feldman. "Ja, es ist gefährlich, es ist furchteinflößend, aber es ist auch möglich. Und es lohnt sich, den Weg zu gehen."

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