Gefährliche Mutterliebe Viel zu nah

Der Sohn unter Verdacht. Eine schwierige Lage für eine Mutter. Erst recht, wenn sie bei der Polizei ist - und ihr Beschützerinstinkt erwacht.

Von Daniel Rademacher, dpa 14.03.2017, 23:01

Berlin (dpa) - "Was sagt die Null zur Acht? Geiler Gürtel!" Caro Böhm (Corinna Harfouch) ist erfolgreiche Kriminalkommissarin und erzählt gerne Witze. Ihre Kollegen mögen sie für beides und es geht recht locker und kollegial zu bei der Verbrechensbekämpfung.

Mit ihrem Sohn Ben (Simon Jensen) segelt sie auf dem Main, und auch ihr Ex-Mann Manni (Peter Lohmeyer) hat trotz neuer Familie seinen Platz in ihrem Leben. Alles bestens also? Nein, überhaupt nicht. "Viel zu nah" erzählt an diesem Mittwoch (20.15 Uhr) im Ersten die Geschichte von Entfremdung, Verlustangst und dem Wandeln am Abgrund.

"Ben kifft aber viel!" - Caros Schwester spricht aus, was die Mutter nicht sehen will. Ihr 18 Jahre alter Sohn lotet seine Grenzen aus, hängt bis in die Puppen in Clubs herum und interessiert sich kein Stück für den Ernst des Lebens. Nicht weiter ungewöhnlich, wäre da nicht der Überfall auf eine Tankstelle vor den Toren Frankfurts. Ein Mitarbeiter wird ins Koma getreten. Und wäre da nicht die seltsame Gummimaske, mit der Ben eines Nachts - völlig zugedröhnt - seiner Mutter einen gehörigen Schreck eingejagt hat. War er an dem Raub beteiligt oder nicht?

Caro will auf Nummer sicher gehen und macht, was sie immer macht: sich bedingungslos vor ihren Sohn werfen. Sie pfuscht ein wenig im Polizeicomputer herum, so dass der Verdacht nicht auf Ben fallen kann. "Voreingenommenheit schränkt den Blick ein", fährt sie ihre Kollegin an, die mehr feststellt denn fragt: "Hast du nicht auch 'nen Sohn in dem Alter?"

Auf eigene Faust forscht Caro nun nach und versucht, hinter Bens Geheimnis zu kommen. Das alles geht natürlich nicht spurlos an der Kommissarin vorbei. Schon länger hat sie Panikattacken, und die werden schlimmer. Sie sieht ihren Sohn vom Balkon stürzen und braucht einen Moment, ehe klar ist: Das war zum Glück nicht echt.

"Ich versteh's nicht. Ich weiß es nicht. Was ist denn das? Wann ist das bloß passiert? Ich versteh's nicht." Die verzweifelten Fragen der Mutter bleiben haften. Überzeugend spielt die Grimme-Preis-Trägerin Corinna Harfouch ("Der Fall Bruckner", "Was bleibt") eine Frau, die voller Angst ist, ihren Sohn zu verlieren und dabei einzig ihrem Mutterinstinkt folgt. Dafür sind ihr fast alle Mittel recht.

Auch wenn die eine oder andere Aktion, etwa das Frisieren einer Anzeige im internen Polizeisystem, so plump wohl niemals funktionieren würde, schafft es der Film von Petra K. Wagner recht eindrucksvoll, die innere Zerrissenheit der Mutter zu transportieren. Die Regisseurin nimmt sich viel Zeit für ihre Hauptpersonen, zeigt sie in scheinbar unbeobachteten Momenten und lässt die Szenerie nachwirken. Nicht ganz so viel Raum bleibt dagegen für die hochkarätig besetzte Riege der Nebendarsteller mit Peter Lohmeyer als Ex-Mann, Philipp Hochmair als Caros Kollege und Gustav Peter Wöhler als ihr Chef.

Simon Jensen gibt den Problemsohn, dem man zwischendurch wechselweise Hausarrest, zwei Wochen Handy- und Taschengeldentzug sowie ein paar Sozialstunden an den Hals wünschen würde. "Keine Freunde, Handy anlassen, verstanden" - seine tief besorgte Mutter kann er schon lange nicht mehr ernstnehmen.

Aneinander vorbeizureden ist das eine, den Kontakt und das Gespür füreinander zu verlieren trotz eines gemeinsamen Lebens, das ist das andere und besonders tragisch. Gleiches, könnte man nach diesem Film meinen, gilt für Eltern, die zu wissen glauben, was das einzig Richtige für ihre Kinder ist und nicht mehr nach links und rechts schauen.

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