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TV-Tipp Wir wären andere Menschen

Fahrlehrer Rupert Seidlein sinnt auf Rache. Er will zwei Polizisten umbringen, die einst seine Eltern und einen Freund getötet haben. Doch dann läuft alles völlig anders als geplant.

Von Ulrike Cordes, dpa 05.08.2020, 23:01

Berlin (dpa) - Matthias Brandt gilt mit Fug und Recht als einer der erfolgreichsten deutschen Schauspieler. Nach einer Laufbahn an mehreren renommierten Theatern startete der 1960 in West-Berlin geborene Sohn des früheren Bundeskanzlers Willy Brandt (SPD) erst um die Jahrtausendwende beim Fernsehen durch.

Extrem populär wurde Brandt etwa als Münchner Hauptkommissar von Meuffels in der ARD-Krimireihe "Polizeiruf 110" (2011-2018). Bei alledem sagte er in Interviews wiederholt, künstlerisch sei er "ins Scheitern verliebt".

Diese Neigung darf der Schauspieler als Fahrlehrer Seidlein, der Hauptfigur in Jan Bonnys "Wir wären andere Menschen", intensiv ausloten. Das Krimidrama nach der Erzählung "Rupert" von Friedrich Ani ("Süden"-Romane) läuft am Donnerstag um 23.15 Uhr im ZDF.

Seidlein ist traumatisiert durch Geschehnisse, die er als Jugendlicher miterleben musste. Im mittleren Alter kehrt er mit seiner Frau Anja (Silke Bodenbender) in sein ödes Heimatdorf zurück, um die Verantwortlichen, zwei damalige Polizisten (Manfred Zapatka und Paul Faßnacht), zu erschießen. Sein Racheplan bewirkt jedoch keine Erlösung, sondern auf der ganzen Linie Elend.

Auf die kriminalistische Spur kommt ihm allein der seltsam lässig auftretende, doch unverdrossen zielstrebige Ermittler Wackwitz (Andreas Döhler). "Dass Seidlein eine tragische Figur ist, war mir natürlich klar, als ich das Buch bekam. Von den Grundbedingungen her ist das eine Rolle, die mich sofort interessiert hat", erzählt Brandt im Telefonat mit der Deutschen Presse-Agentur.

Und erklärt: "Ich habe schon ein gesteigertes Interesse an Rollen, in denen Menschen etwas misslingt. Aus dem simplen Grund, weil es meiner Lebenswahrnehmung nach den meisten Menschen auch so geht. Es gehen ja de facto mehr Dinge schief als dass sie gelingen." Rupert Seidleins ganzes Leben sei dafür ein extremes Beispiel.

So gerät "Wir wären andere Menschen", gesendet zu später Stunde, zu einer TV-Erzählung, die tiefgründige Fragen aufwirft; und die mit feinfühliger Charakterzeichnung vor allem des Hauptdarstellers fesselt. Eher krude und konstruiert wirkt dagegen die Vorgeschichte: Zwei junge Streifenpolizisten, prollig und mies gelaunt, fühlen sich bei einem zufälligen Einsatz in Seidleins Elternhaus bedroht und erschießen im Handgemenge das Ehepaar sowie einen polnischen Freund Ruperts. Dem jungen Augenzeugen nötigen die beiden anschließend die Erklärung ab, sie hätten in Notwehr gehandelt.

Den erwachsenen Seidlein zeichnet Brandt als einen von sich selbst völlig entfremdeten, zusehends unbeherrschten und konturlosen Mann. Als einen, dessen Gedanken und Gefühle abschweifen und ihn in die Ferne starren lassen. Der beim Fahrunterricht aggressiv wird und sich am Ende jammervoll klagend im Bett an seine Frau klammert. Die hat aus Liebe ihren Mann verzweifelt vor sich selbst retten wollen - doch dafür war es wohl zu spät. Das zerfaserte, fahrige Innenleben des Antihelden spiegeln in Bonnys Film unstete Bilder oft menschenarmer Räume in bleiern grauer Kaff-Kulisse.

"Rache ist ja eines der menschlichen Grundthemen überhaupt - einer der wesentlichen Antriebe für menschliches Handeln. Jeder kann etwas damit anfangen", sagt Brandt, der über persönliche Erfahrungen mit dem Thema lieber schweigt. Die düstere Thematik habe ihn beim Dreh zwischen Köln und Bonn im heißen Sommer 2018 denn auch nicht unbeeindruckt gelassen. "Natürlich gehört es für einen Schauspieler zum Handwerk, sich von seiner Rolle abzugrenzen. Aber unbeeinflusst lässt einen das nicht", erinnert er sich. Das habe dann aber auch so zu sein - weil eine Geschichte so die Kraft entwickele, die sie im besten Fall haben sollte.

© dpa-infocom, dpa:200804-99-31993/3

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