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Flüchtlinge Trotz Reduzierung Sorge um Schießplatz

Rund 70 Klietzer hörten Dienstagabend, welche Gründe das Innenministerium für das Festhalten an der Kaserne als Erstaufnahmeeinrichtung hat.

Von Anke Schleusner-Reinfeldt 01.02.2017, 10:15

Klietz l Was Staatssekretärin Tamara Zieschang von der Einwohnerversammlung in Klietz mit nach Magdeburg nimmt, sollte im Innenministerium zu denken geben: Die Bürger fühlen sich belogen und sind maßlos enttäuscht, haben kein Vertrauen mehr in die Landesregierung und zeigen kein Verständnis dafür, dass der Bundeswehrstandort Klietz mit zahlreichen Arbeitsplätzen in Gefahr gebracht wird.

Zunächst hatte Bürgermeister Hermann Paschke noch einmal unterstrichen, dass „die Gemeinde die vor Krieg Flüchtenden gern aufgenommen hat“. Der Kritikpunkt: Anders als bei der Ankunft im September 2015 versichert, bleibt die Kaserne länger als bis April 2017 Erstaufnahmestelle. Und zwar solange, bis die Erstaufnahmestelle in Stendal fertig ist.

Dass das tatsächlich bis Ende 2018 verwirklicht ist, bezweifeln die Klietzer. Und selbst die Staatssekretärin sprach davon, dass „sie hofft, dass bis Ende 2018 alles fertig ist“. Allerdings räumte sie auch ein, dass der Umzug aber auch eher erfolgt, wenn der Baufortschritt es möglich macht. Tamara Zieschang versuchte um Verständnis zu werben für die „schwierigen Abwägungsprozesse“ für das Unterbringungskonzept des Landes Sachsen-Anhalt. Sie nannte Zahlen für die Asylsuchenden: 2015 kamen 34 000 Flüchtende nach Sachsen-Anhalt, 2016 waren es 9100. Auch wenn man gegenwärtig von einer Normalisierung ausgehe, so sei es ein Blick in die Glaskugel, was in den kommenden Jahren passiert. Deshalb will das Land insgesamt 2000 Plätze für die Erstaufnahme vorhalten: 1000 in Stendal, weitere 1000 plus Reserve von 500 in Halberstadt. In Stendal sollen besonders Schützbedürftige wie alleinreisende Frauen, Frauen mit Kindern, Schwangere und Behinderte Unterkunft finden. Solche Plätze mit besonderen Anforderungen gibt es gegenwärtig nur in Klietz. Deshalb sind hier seit Jahresbeginn auch nur noch diese Ankommenden untergebracht, „das Klientel hat sich also komplett geändert“. Und die Zahl von gut 700 Betten wurde auch auf nur noch 170 reduziert. Deshalb kann ein großer Teil der Gebäude wieder an die Bundeswehr zurückgegeben werden.

Die Klietzer befriedigt dieser Umstand kaum. „Bis die Gebäude wieder nutzbar sind, vergehen Monate und die Soldaten bleiben weg“, sorgt sich Frank Benneckendorf um die rund 200 zivilen Arbeitsplätze. Werner Grabolle, einst Kommandant des Truppenübungsplatzes, bekräftigt das: „Dass die übende Truppe verhaltener nach Klietz kommt, hören wir seit Monaten tagtäglich – es herrscht Grabesstille auf dem Platz. Die Truppe richtet sich auf anderen Plätzen ein. Aber der Klietzer Platz muss eine entsprechende Anzahl an Mann-Tagen vorweisen, um wirtschaftlich zu sein – ist das nicht mehr der Fall, wird er überflüssig.“ Zur Argumentation des Landes, dass die Nutzung der Kaserne die finanziell günstigste Lösung ist, erklärt er: „Für das Land ja, aber nicht für den Steuerzahler. Denn der Bund muss die im Wald untergebrachte Truppe aufwendig versorgen – das Geld wird nur umgelagert.“ Ihn, der selbst als Deutschlehrer ehrenamtlich gerade in den ersten Monaten täglich viele Stunden in der Erstaufnahmeeinrichtung verbracht hat, ärgert, dass die Klietzer wieder vor vollendete Tatsachen gestellt werden.

Dem pflichtet Torsten Peters bei. Sein Haus steht unmittelbar an der Kasernengrenze, dahinter das Versorgungszelt. „Noch zwei weitere Sommer will ich so nicht leben! Morgens um 6 Uhr werden wir Anlieger von Musik geweckt, den ganzen Tag über ist Lärm. Sämtliche Zusagen, die das Innenministerium zur Entschärfung der Situation gemacht hat, wurden nicht eingehalten.“ Stefan Kertz, ebenfalls Anlieger, berichtete von einer besonderen Belastung während des Ramadans, wo abends erst das Leben in der Kaserne beginnt.

Von einer abendlichen Lärmbelastung bis Mitternacht und länger berichtete auch Ignez Eberhard, ebenfalls unmittelbare Anliegerin. Sie stellt zudem die Wirtschaftlichkeit in Frage. Denn wenn auch deutlich weniger Flüchtlinge nach Klietz kommen, so sei der Aufwand für DRK, Reinigung, Wachschutz, Dolmetscher... trotzdem enorm.

Eberhard Wienmeister als Anlieger und Ratsmitglied fand deutliche Worte. „Wir sind nicht gegen Flüchtlinge. Aber was uns anstinkt, ist der Umgang mit den Bürgern und dem Gemeinderat. Niemals haben die Zusagen des Innenministeriums gestimmt.“ Er kritisierte, dass Innenminister Holger Stahlknecht die Einladung nach Klietz zum wiederholten Mal nicht eingehalten hat, „dann hätte er uns erklären können, warum wir uns immer wieder anlügen lassen müssen. Das ist eine Missachtung der Gemeinde!“

Jörg Pürner, ebenfalls Ratsmitglied, sprach unter anderem die deutlich gesunkenen Grundstückspreise in unmittelbarer Nachbarschaft zur Kaserne an.

Göran Fenn hält es für unverantwortlich, wie „mit uns umgegangen wird! Wir sind hier die ärmste Region im Land. Jeder verlorene Arbeitsplatz tut doppelt weh. Und unsere Regierung gefährdet einfach so den Truppenübungsplatz. Welche Truppe kommt zum zweiten Mal nach Klietz, wenn sie im Wald campieren muss, wo es doch andernorts richtige Unterkünfte gibt?“

Landrat Carsten Wulfänger betrachtet die Zeitschiene für die Fertigstellung der Stendaler Unterkünfte im ehemaligen Wehrkreiskommando skeptisch. „Schafft man es, in nicht mal zwei Jahren 30 Millionen Euro zu verbauen?“ Tamara Zieschang hatte zuvor berichtet, dass immer noch auf die schriftliche Zusage der Gelder vom Bund gewartet wird, erst dann könne es mit dem Bau in Stendal los gehen. Auch der Landrat sorgt sich um die Sicherheit des Platzes, wenn die Wirtschaftlichkeit das nächste Mal auf den Prüfstand kommt. Das habe er dem Innenministerium auch so mitgeteilt und gefragt, ob denn nicht 500 Plätze für Stendal reichen würden.

Dem Schullandheimleiter Stefan Kertz sicherte er zu, das Problem mit der rückläufigen Belegung klären zu wollen, „vielleicht können wir da einen Ausgleich schaffen“. Stefan Kertz hatte berichtet, dass im vergangenen Jahr deutlich weniger Schulklassen vor allem aus dem Landkreis Stendal nach Klietz gekommen sind. Eltern aus Seehausen beispielsweise begründeten die Absage damit, dass in Klietz so viele Flüchtlinge untergebracht sind.

Auf die Frage aus dem Publikum, warum denn nicht leerstehende Wohnblöcke in Stendal-Süd für die Flüchtlinge genutzt werden, was deutlich günstiger wäre als die Investition in das ehemalige Wehrkreiskommando, konnte die Staatssekretärin nicht antworten.

Auf die Frage von Jörg Pürner, warum nicht der Bundeswehrstandort Altengrabow, der nicht wie Klietz mitten im Wohngebiet liegt, genutzt wird, erklärte Tamara Zieschang, dass die Bundeswehr Altengrabow komplett zurück haben wollte. Und sie versicherte, dass der Bund derzeit immer wieder bekräftigt, an Klietz festzuhalten.

Verbandsbürgermeisterin Steffi Friedebold bat die Staatssekretärin, die Sorgen der Klietzer ernst zu nehmen, „an dem Platz hängt die gesamte Region. Das Land muss seine Zusagen einhalten und ehrlich mit uns kommunizieren.“

Pfarrer Hartwig Janus hofft, dass die bisherige Bereitschaft der Klietzer, sich auf die Schutzsuchenden einzulassen, erhalten bleibt.