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"Anlegen, Anlegen, Anlegen" Stehen Mütter in Deutschland unter Still-Druck?

Dass Muttermilch am besten für ein neugeborenes Babys ist, steht außer Frage. Hersteller von Ersatzmilch bauen diese Information inzwischen sogar in ihre Werbung ein. Die verbreitete Befürwortung des Stillens kann Mütter aber auch unter Druck setzen.

Von Britta Schultejans, dpa 01.10.2018, 03:45

Berlin (dpa) - "Hätte ich nicht gewollt, wäre ich damals im Krankenhaus mit Sicherheit vor einem Stilltribunal gelandet. Denn an meinem Krankenbett patrouillierte eine Art Armee, die immerfort "Anlegen, Anlegen, Anlegen" skandierte."

Die Autorin Antonia Baum hat in ihrem Buch "Stillleben" aufgeschrieben, was viele Frauen in deutschen Krankenhäusern erleben, wenn sie ein Baby auf die Welt gebracht haben. In den ersten Tagen - und nicht nur dann - dreht sich alles um das Anlegen des Babys, um das Stillen.

Optimale Versorgung für Neugeborene

Denn inzwischen steht außer Frage, dass Muttermilch die beste Ernährung für ein Neugeborenes ist. Sogar die Hersteller von Ersatz-Pulvermilch bauen diese Information inzwischen in ihre Werbung ein. Die Weltstillwoche, die am Montag (1. Oktober) startet, steht unter dem Motto "Stillen - Basis für das Leben".

"Muttermilch ist auf die Bedürfnisse des Kindes perfekt zugeschnitten", sagt auch die Ernährungswissenschaftlerin Mathilde Kersting. "Das Kind bekommt das, was es braucht und darüber hinaus kann die Mutter das Kind vor bestimmten Krankheiten schützen." Außerdem, so sagt Kersting, seien gestillte Kinder seltener übergewichtig. "Und Stillen ist praktisch und kostet nichts."

Mütter stehen unter Druck

Ungeachtet dessen fühlen sich manche Frauen, die sich aus welchen Gründen auch immer gegen das (Weiter-)Stillen entschieden haben oder nicht stillen können, durch die "nicht verhandelbare Stillforderung", wie Autorin Baum es umschreibt, unter Druck gesetzt. Auch sie habe diese erfüllen wollen, "weil ich richtig sein wollte, wie eine richtige Mutter aus dem Internet. Eine Mutter, die für ihr Kind alles tut und nichts unversucht lässt. Dieser Imperativ spielte eine Rolle."

Das Internet ist voll mit Blogs und Foren, in denen Mütter, die nicht stillen, sich rechtfertigen müssen oder sogar beschimpft werden. "Was wäre gar mit jener akademischen Mittelstandsmutter los, wenn sie nicht stillen wollte? Ist ihr das Kind nicht wichtig? Stimmt etwas nicht mir ihr? Ist sie egoistisch, kalt? Ist sie verrückt?", beschreibt Baum die Vorbehalte.

Studien zum Stillverhalten

Kersting leitet das Forschungsdepartment Kinderernährung (FKE) an der Ruhr-Uni Bochum und arbeitet derzeit für die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) an einer umfangreichen Studie über das bundesrepublikanische Stillverhalten, an der etwa 1000 Frauen und rund 100 Geburtskliniken beteiligt sind. "Es geht vor allem darum, herauszufinden, warum Frauen, die stillen wollen, nicht am Ball bleiben", sagt Kersting. Die Untersuchung begleitet die Frauen und ihre neugeborenen Babys im ersten Lebensjahr, fragt also nicht rückblickend nach, wie das viele andere Studien gemacht haben, die derzeit verfügbar sind.

Direkt nach der Geburt werden inzwischen (Geburtsjahrgang 2013/14) 87 Prozent der Babys in Deutschland gestillt. Das ergibt die zweite Welle der Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS) des Robert-Koch-Institutes (RKI), deren Ergebnisse im August in einer Sonderausgabe des Bundesgesundheitsblattes veröffentlicht wurden. Zwar ist die Stillrate in Deutschland demnach seit den 1990er Jahren kontinuierlich gestiegen, sie liegt aber beispielsweise noch deutlich unter der von Schweden, wo fast alle Babys (98 Prozent) anfangs gestillt werden.

Was steckt hinter den Stillproblemen?

Das größere Problem: Im Schnitt werden Kinder in Deutschland weniger als vier Monate ausschließlich gestillt - obwohl fast 90 Prozent der Mütter ursprünglich vorhatten, ihren Kindern länger die Brust zu geben und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ausschließliches Stillen ohne zusätzliche Ersatzmilch oder Flüssigkeit in den ersten sechs Monaten empfiehlt.

Die Gründe, die die Mütter in der KiGGS-Studie angeben: zu wenig Muttermilch, das Kind wollte nicht mehr - oder "sonstiges". Die Wissenschaftler schreiben: "Dies legt nahe, dass mehr Förderung notwendig ist, um Mütter mit Stillproblemen, die beabsichtigt hatten länger zu stillen, dabei zu unterstützen, die Stillprobleme zu überwinden und weiter zu stillen."

"Fast jede Mutter kann stillen", sagt Kersting. Nur in ganz wenigen Fällen sprächen tatsächlich körperliche Gründe dagegen. Mütter deshalb unter Druck zu setzen, sei aber der völlig falsche Weg und ganz sicher kontraproduktiv. "Auch Müttern, die nicht stillen, steht eine gute, einfühlsame Beratung zu."

Infos zur KiGGS-Studie

Infos zur Weltstillwoche

Antonia Baum - Stillleben