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Gericht Opfer nimmt die Angeklagten in Schutz

Vor dem Stendaler Landgericht müssen sich Westaltmärker wegen Körperverletzung verantworten. Doch ein Opfer hat Erinnerungslücken.

Von Antonius Wollmann 11.11.2017, 00:01

Stendal/Salzwedel l Vor der Jugendkammer des Stendaler Landgerichts sind mehrere Verfahren gegen drei Salzwedeler, darunter der schon vorbestrafte Fabian M., und einen Angeklagten aus der Verbandsgemeinde Beetzendorf-Diesdorf eröffnet worden. Im Mittelpunkt stand eine Tat, die sich am 30. Januar des vergangenen Jahres ereignete hatte. Die vier sollen dabei einen Studenten auf dem Parkplatz am Chüdenwall zusammengeschlagen haben.

Allerdings besteht der Verdacht, dass die vier Delinquenten noch so einiges mehr auf dem Kerbholz haben. So wurden den Männern weitere Fälle von Nötigung und Körperverletzungen angelastet. Die Verlesung der Anklageschrift nahmen die vier regungslos zur Kenntnis. Dabei hatten es die Vorwürfe, die die Staatsanwältin vortrug, in sich. Im November 2015 sollen die jungen Männer einen Salzwedeler arabischer Herkunft auf dem Parkplatz der Diskothek Speicher attackiert haben. Das Pikante daran: Die Angeklagten sollen der rechten Szene in Salzwedel angehören. Nachdem der junge Mann geohrfeigt worden sein soll, verfolgten sie ihn bis zu seinem Auto. Als der Geschädigte darin Schutz suchen wollte, öffneten sie die Tür und versuchten, ihn aus dem Wagen zu ziehen. Bereits einige Monate zuvor war der junge Mann in der Nähe der Berufsschule mit einem der Angeklagten aneinander geraten. Bei der Auseinandersetzung zog er sich einen Nasenbeinbruch zu.

Der Geschädigte trat als Zeuge auf. Nach seinen Einlassungen blieb von Vorwürfen nicht mehr viel übrig. Es schien, als bemühte er sich geradezu darum, die Vorwürfe zu relativieren. Beim Disko-Vorfall sei er ziemlich betrunken gewesen, weshalb er sich an die Einzelheiten nicht mehr erinnern könnte. Dass er im Nachgang der Tat bei der Polizei die Beteiligten noch mit ihren Namen nennen konnte, tat er als Missverständnis ab. „Vielleicht wollte ich, dass irgendjemand Konsequenzen spürt“, hatte er als Erklärung parat. Von diesem Wunsch war im Gerichtssaal in Gegenwart der Angeklagten nicht mehr viel übrig.

Als er über den Vorfall an der Berufsschule sprach, drängte sich der Einruck auf, dass der Zeuge in erster Linie darauf bedacht war, seinen eigenen Anteil an der Eskalation zu betonen: „Wenn so etwas passiert, sind immer zwei daran Schuld. Ich nehme mich da nicht von aus.“ Den Strafantrag nahm er zurück. Sowohl die beisitzende Richterin als auch die Staatsanwältin schienen angesichts der Neigung des Geschädigten, die Angeklagten in Schutz zu nehmen, die Geduld zu verlieren. „Das ist eine der schwächsten Aussagen, die ich in meinem Berufsleben bisher gehört habe. Und ich mache den Job jetzt schon seit 25 Jahren“, kommentierte die Staatsanwältin resignierend.

Anders verhielt sich ein Zeuge, der bei einem Maifeuer in Cheine von einem der Angeklagten attackiert worden sein soll. Er berichtete detailliert, wie er auf dem Weg zum Auto erst auf den Boden geworfen und anschließend mit Tritten traktiert wurde. Auch in seinem Fall schockierte die offensichtliche Enthemmtheit, mit der die Täter vorgingen. Erst als die Freundin des Opfers einschritt, ließen die Männer von ihm ab.

Der Prozess wird in den kommenden Wochen fortgesetzt. Wann das Urteil fällt, steht noch nicht fest.