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Nicht mitgedacht Die blinden Flecken der Frauengesundheit

Männer und Frauen sind gleich. Auf dem Papier zumindest. In der Praxis gibt es aber noch immer viel Ungleichheit - nicht zuletzt in der Medizin. Sogar beim Herzinfarkt.

Von Tobias Hanraths, dpa 05.03.2020, 03:45
Christin Klose
Christin Klose dpa-tmn

Hamburg (dpa/tmn) - Eine Gruppe kranker Menschen sind Patienten - so männlich will es die Grammatik. Patientinnen sind da natürlich mitgemeint, heißt es dann. Doch allzu oft zeigt sich in der Gesundheitspraxis, dass Frauen zwar mitgemeint, aber nicht mitgedacht sind.

Die Schieflage zeigt sich auf mehreren Feldern: Viele Krankheiten werden bei Frauen später erkannt als bei Männern, viele Arzneimittel sind eher in ihrer Wirkung auf Männer untersucht.

Oft beginnt das Problem aber schon früher, erklärt Ingrid Mühlhauser, Professorin für Gesundheitwissenschaften an der Universität Hamburg und Vorsitzende des Arbeitskreises Frauengesundheit. "Wir haben in den Machtstrukturen des Gesundheitswesens einen Herrenclub", sagt sie. "Und der bestimmt, was geforscht wird."

Die Folge: Viele Krankheiten und Fragestellungen, die vor allem Frauen betreffen, sind kaum oder unzureichend erforscht, zum Beispiel die Endometriose, also Zysten und Entzündungen etwa an den Eierstöcken - eine Krankheit mit vielen Betroffenen, die oft massive Schmerzen erleiden, die aber trotzdem nur wenig erforscht ist.

Betroffen von der Schieflage sind aber nicht nur frauenspezifische Krankheiten, sondern auch die sogenannten Volkskrankheiten wie Diabetes, aber auch der Herzinfarkt.

Beispiel Herzinfarkt: Von wegen Männerkrankheit

Der plötzliche Schmerz in der Brust, der Zusammenbruch: Der Herzinfarkt gilt vielen noch immer als reine Männerkrankheit. Dabei stimmt das gar nicht mehr, sagt Christiane Tiefenbacher, Chefärztin für Kardiologie am Marienhospital in Wesel und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Herzstiftung.

Allerdings verläuft der Herzinfarkt bei Frauen etwas anders als bei Männern. So sind die Symptome häufiger untypisch, wie Mediziner sagen: "Bauch- und Rückenschmerzen zum Beispiel statt des klassischen Engegefühls in der Brust", wie Tiefenbacher erklärt. Dadurch erkennen selbst Profis einen Herzinfarkt bei Frauen oft spät oder gar zu spät.

Noch an weiteren Stellen hapert es, erklärt die Expertin: "Selbst wenn der Verdacht frühzeitig aufkommt, werden bei Frauen seltener aufwendige Untersuchungen vorgenommen, stattdessen beobachtet man länger." Auch die verschriebenen Medikamente sind oft andere - und nicht zwingend passendere

Beispiel Diabetes: Fehldiagnose dank Nüchtern-Blutzucker

Wie der Herzinfarkt gilt auch der Diabetes Typ 2 oft als Männerkrankheit, selbst bei Ärzten. Entsprechend früh wird er bei Männern häufig entdeckt. "Bei vielen Frauen dagegen finden wir den erst über die Komplikationen, nach dem ersten Herzinfarkt", sagt Julia Szendrödi, stellvertretende Direktorin der Klinik für Diabetologie an der Uniklinik Düsseldorf.

Oft hat die Fehldiagnose einen ganz simplen Grund. "Wenn der Hausarzt auf Diabetes Typ 2 testet, nimmt er häufig den Nüchtern-Blutzucker", erklärt die Expertin. "Bei Frauen mit Diabetes Typ 2 ist der in der Frühphase der Krankheit aber häufig noch im Normbereich." Die Diagnose lautet dann: kein Diabetes - und damit keine dringend nötige Behandlung. "Männer haben zwar etwas häufiger Typ-2-Diabetes - aber Frauen verlieren mehr gesunde Lebensjahre und haben eine stärker erhöhte Sterblichkeit."

Auch hier liegen psychologische Ursachen zugrunde - zum Beispiel dann, wenn es um die Behandlung geht. "Da gibt es bei Ärzten oft noch das Vorurteil, dass die Frauen sich ohnehin gut darum kümmern", sagt Szendrödi. "Tatsächlich ist es aber so, dass viele Frauen sich noch immer zuerst um die Familie kümmern und erst danach um sich selbst." Daran können die Frauen und ihr Umfeld etwas tun. Gefragt sind aus Sicht von Szendrödi aber vor allem die Ärzte.

Problem erkannt - Gefahr gebannt?

Immerhin sagen Szendrödi und Kardiologin Tiefenbacher: Besserung ist in Sicht. Das Problem sei inzwischen präsent und spiele auch in der Ausbildung von Ärztinnen und Ärzten eine Rolle. Patientinnen sollten es aber dennoch auf dem Schirm haben, meint Tiefenbacher: "Wir raten betroffenen Frauen, das Thema tatsächlich gezielt anzusprechen und eine intensive Untersuchung auch einzufordern."

Bettina Osswald
Bettina Osswald
Bettina Osswald
Klaus-Dietmar Gabbert
Klaus-Dietmar Gabbert
dpa-tmn