1. Startseite
  2. >
  3. Varia
  4. >
  5. Ein offener Brief

Holzweg Ein offener Brief

Ich muss da mal eben was loswerden ... .

Von Nico Esche 27.04.2020, 23:01

Liebe Freunde,

Jedes Jahr von vorne, immer wieder. Da kommen sie, machen Fotos von mir und meinen Jeschwistern, posieren, fahren mit ihren Autos zwischen uns durch und halten sogar mitten auf dem Jehwech an, die Vörel.

Das jeht nun schon seit, ich denke, vielleicht drei oder vier Jahren so. Halten sich selbst ihre Handys ins Jesicht und drücken ab, während wir als Deko im Hintergrund stehen. Ich mein’, unsere pure und unwiderstehliche Schönheit ist das janze Jahr über, und die kommen einmal her, machen een Bild und düsen wieder ab, verjessen uns - bis wir uns im nächsten Frühjahr wieder rausputzen. Jut, im Winter ist Meinesgleichen keene Zierde und den Leuten fallen nicht grad die Kulleraugen aus bei unserem Anblick. Aber ihr seid ooch keene Schönheit. Kleener Spaß am Rande, ihr seht jut aus.

Aber jetzte mal im Ernst: hat uns mal jemand jefracht? Ne. Allerdings … unsere Eitelkeit ist wohl über Stadt- und Landesgrenzen hinaus bekannt. Für zwei bis drei Wochen kleiden wir uns in feinstes Rosa. Was bleibt uns auch, wir schauen uns Tach für Tach, Woche für Woche und Jahr für Jahr jejenseitich an und haben nüscht davon. Da wird man wohl ein einzjes Mal sich schick machen dürfen.

Ejal. Wo war ich, ach ja. Die Leute. Kommen an und schießen Fotos wie die Weltmeister, laden diese auf Instagram hoch, erfreuen sich unserer Schönheit, und wir haben nüscht davon. Wir können nicht mal gucken, wie wir aussehen … keene Hände und so, ihr wisst Bescheid.

Manch eine janz besondere Flietzpiepe meint gar off meine Äste klettern zu müssen, um een lustijes Biild zu machen, oder so een Quatsch. Frach ich mich: jeh’ts euch eijentlich jut?! Wenn ich die das nächste Mal an Wickel krich’. Ja, ne, immer noch keene Hände, ejal, jibt Ärjer Freundchen, kannste dir hinter die Löffel schreiben.

Sind aber zum Glück nicht alle so. Denn, ehrlich jesacht, irjendwie jefällt uns die Aufmerksamkeit. Een Mal im Jahr, wo nicht der graue Steinklotz, oder dit pinke Bonbon-Jebäude im Mittelpunkt stehen. Een Mal im Jahr kommen sie auf unseren schnieken Holzwech und kippen fast nach vorne weg, wenn se uns sehen. Versteh oft nur leider kaum een Wort, nen starken Akzent haben manche. Einije sprechen von Hanami und von ferne Verwandtschaft. Sollen ooch janz hübsch sein. Kannste nich meckern.

Die meisten freu'n sich über uns, und ooch wenn es nur een Mal im Jahr eben ist. Ist doch schön, wenn die weiterhin so freundlich bleiben, keen Müll hier rumliejen lasses und zeijen, wie ansteckend schön dieses Machteburch ist. Auch wenn die Kollejen aus’m Rathaus mal kurz jepennt haben und ne andere Sorte hierher jepflanzt haben - komische Jesellen war'n dit, hatten so grüne Sprenkel drin, statt unser schickes Schweinchenrosa. Rausjeruppt die Dinger und allet war wieder jut. Ooch schön, wenn die Leute mit ihren pelzjen Freunden kommen. Die pullern uns zwar manchmal an, aber freuen sich immer ne Schippe wenn se ins Rampenlicht jerückt werden.

Wie dem auch sei. Dit rosa Kleidchen sind wir überdrüssig. Schnauze voll, wech mit dem Zeuch. Wir sehen uns nächst's Jahr wieder, Freunde der Nacht. Dann kriejen wir vielleicht mal von euch nen Schulterklopfen. Ooch wenn wir keene ham, ejal. Macht’s jut. 

Euer Prunus serrulata

PS: Eener alleene, dat is nich scheene, aober Eener mit Eene, un dann alleene, dat is scheene.