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Kino Adieu Monsieur Piccoli

Er war einer der letzten Giganten seines Metiers, in einer Reihe stehend mit Lino Ventura, Marcello Mastroianni und Curd Jürgens aus den goldenen Jahrzehnten des westeuropäischen Kinos: Michel Piccoli starb am 12. Mai mit 94 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls, wie seine Familie nun mitteilte.

Von Uwe Kreißig 19.05.2020, 12:42

Magdeburg l Er war bereits seit zwei Jahrzehnten im Geschäft, als Michel Piccoli 1963 zur internationalen Größe aufstieg: Der aufstrebende Schweizer Regisseur Jean-Luc Godard besetzte ihn mit der Hauptrolle des Drehbuchautors Paul Javal in der Verfilmung von Alberto Moravias Buch „Die Verachtung“. An der Seite von Brigitte Bardot als Ehefrau Camille und der Filmlegende Fritz Lang, der sich selbst spielte, bot Piccoli alles auf, was ihn später unnachahmlich machen sollte: eine souveräne und dennoch zurückgenommene Spielform, glaubwürdig in jeder Szene, immer auf der Höhe seiner Möglichkeiten.

Der gebürtige Pariser und Künstlersohn, der 1945 erstmals in einem Film zu sehen war, hatte zuvor schon zwei Dutzend Rollen ausgefüllt, darunter auch 1955 im DEFA-Streifen „Ernst Thälmann – Führer seiner Klasse“ von Kurt Maetzig. Mit der „Verachtung“ eröffnete sich ihm aber eine Weltkarriere, die auf dem französisch-italienischen Kino gründete, in dem zwischen 1960 und 2000 eine originäre Filmkultur erschaffen wurde. Es war eine Kultur, die die Menschen emotional bewegte, in der aber die vielschichtigen, auch düsteren Seiten der Lebenswelt des Westens anspruchsvoll reflektiert wurden, ohne dem Zuschauer das Filmerlebnis zu vergällen.

Mit „Belle de Jour – Schöne des Tages“, als ihm Catherine Deneuve an die Seite gestellt wurde, etablierte er sich 1967 endgültig als Held seiner Zeit. Weibliche Stars wirkten an seiner Seite oft souveräner, umgekehrt profitierte er von ihrer Ausstrahlung. „Ich habe an meinen Figuren oft bemerkt, dass ich eigentlich den Regisseur spiele. Die Regisseure delegieren ihr Geheimnis an mich“, sagte er einmal zutreffend. Dabei spielte Piccoli nicht kühl intellektuell, sondern er berührte das weibliche wie das männliche Publikum gleichermaßen.

Dabei scheute er sich nie, Rollen anzunehmen, die nicht nur künstlerisch schwierig, sondern auch für eine Karriere riskant sein konnten. Dass herausfordernde, provozierend angelegte Filme wie „Dillinger ist tot“ (1968), „Themroc“ (1972) oder „Das große Fressen“ (1973) nicht als Skandale versandeten, die sie ja waren, sondern in die Filmgeschichte eingingen, ist nicht zuletzt seiner Kraft zu verdanken.

Zwischendurch bot er dem anspruchsvollsten Filmpu-blikum die besonderen Imaginationen, die wir immer mit dem Kino verbinden werden. Dazu zählt „Die Dinge des Lebens“ von Claude Sautet, ein Film, der 50 Jahre alt ist und zur klassischen Moderne zählt. Mit Romy Schneider fand er hier seine ideale Filmpartnerin. Wenn man den Unterschied zwischen französischem Kunstkino und dem System Hollywood verstehen will, braucht man sich nur das Original und das Remake „Begegnungen“ mit Richard Gere, Lolita Davidovich und Sharon Stone ansehen: Durchdacht in den Dialogen und tief ist der französische Film gehalten, geglättet und kühl die amerikanisierte Variante von 1994; ein ideales Beispiel, wenn kommerzieller Stil über Gedanken und Inhalten gesetzt wird.

Mit Romy Schneider trifft er sich 1982 für den Film „Die Spaziergängerin von Sans-Souci“ ein letztes Mal, kurz nach den Dreharbeiten stirbt die Freundin. Weniger bekannt, aber eine seiner stärksten Leistungen ist die Rolle als alternder Schachweltmeister in „Gefährliche Züge“ (1984), in dem die WM-Dramen von Viktor Kortschnoi, Anatoli Karpow und Boris Spasski als politische Großduelle zwischen Kommunismus und Kapitalismus psychologisch zelebriert werden.

Noch im besten Alter spielte er jedes Jahr mindestens in einem Film. Wir erinnern uns an die „Schöne Querulantin“ (1991), in dem er als Maler die junge Aktrice Emmanuelle Béart verewigt; das fertige Kunstwerk bekommt man nie zu sehen. Und man müsste noch etliche Filme aufzählen, die bleiben werden.

Privat sind drei Ehen, darunter mit der Chansonsängerin Juiette Gréco, vermerkt, wobei Piccoli wohl kein zuverlässiger Kunde der Boulevard-Medien war. Der für französische Filmstars übliche Ausflug nach Hollywood endete für ihn nach einem Film. Piccoli zeigte auch hier seine realistische Sicht auf die „Dinge des Lebens“, die ihm letztlich doch die besten Möglichkeiten eröffnete: „Ich bekam keine Angebote, aber das fand ich nicht schlimm. Die Amerikaner haben genug gute Schauspieler.“

Seinen Abschied kündigte er bereits vor 20 Jahren an, als er einen alternden Darsteller gab, der mit der Branchengegenwart nicht mehr zurechtkommt. Der Filmtitel war auch die Botschaft: „Ich geh’ nach Hause“.