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Lauter UmwegeAlleskönner Hanns Zischler wird 70

Er steht nicht gern im Rampenlicht - und gehört doch zu den wirklich Großen. Hanns Zischler, Schauspieler und Multitalent, feiert 70. Geburtstag.

Von Nada Weigelt, dpa 16.06.2017, 23:01

Berlin (dpa) - Seinen Durchbruch im Kino hat Hanns Zischler, als er in selbstmörderischer Absicht mit einem weißen VW Käfer in die Elbe rast. Das war 1976 in Wim Wenders' legendärem Roadmovie "Im Lauf der Zeit". Inzwischen hat der Wahlberliner in mehr als 200 Filmen mitgewirkt - einer der vielseitigsten und gefragtesten deutschen Schauspieler.

Mit mindestens gleicher Leidenschaft ist er Forscher, Autor, Verleger, Vorleser, Erzähler und Fotograf. Am Sonntag (18. Juni) wird Hanns Zischler, eigentlich Christoph Johann, 70 Jahre alt.

Interviews zu seinem Geburtstag mag er nicht. "Ich gebe nicht gern Auskunft über mich", sagte er einmal. Bei der Vorstellung seines Archivs in der Berliner Akademie der Künste gewährte er kürzlich gleichwohl vorsichtig Einblick in sein Leben - leise, bescheiden, fast unterkühlt. Eben so wie er spielt.

Kaum etwas in diesem Leben ist geplant. "Die Mehrzahl der Dinge, die ich angefangen habe, sind nicht gelungen", behauptet er. "Aber bei einigen ist halt doch was zustandegekommen." So erhält er Ende der 60er Jahre seine ersten Rollen, weil er als Student in München den jungen wilden Filmemachern durch die schwarzen Anzüge auffällt, die er von einem im Krieg vermissten Onkel aufträgt.

Er wird zu einem prägenden Gesicht des Autorenkinos und dreht mit Größen wie Wim Wenders, Peter Handke, Peter Lilienthal, Jean-Luc Godard und Claude Chabrol. Zwischendrin arbeitet er fast drei Jahre als Dramaturg an der Berliner Schaubühne. Allein mit Regisseur Rudolf Thome entstehen acht Filme, darunter das preisgekrönte Beziehungsdrama "Paradiso - Sieben Tage mit sieben Frauen" (2000).

"Er mimt die Rolle nicht, er verkörpert sie mit sparsamen Gesten, dosierter Mimik, absichtsvoller Zurückhaltung", schrieb der "Film-Dienst" einmal. Internationales Aufsehen erregt er mit seinem Auftritt in Steven Spielbergs Thriller "München", in dem er als deutschstämmiger Mossad-Agent die palästinensischen Attentäter des Münchner Olympia-Dramas von 1972 jagt.

Im Fernsehen brilliert Zischler gleichermaßen in Krimiserien wie in Literaturverfilmungen und Psychodramen, auch wenn sein Name in den Besetzungslisten nicht immer obenauf steht. Beispiele sind etwa "Hitlerjunge Salomon" (1990), "Jahrestage" (2000), "Der Fall Jakob von Metzler" (2012) und, Anfang des Jahres bei der Berlinale vorgestellt, "Masaryk". Eine herausragende Rolle hat er als NS-Massenmörder Klaus Barbie in dem Thriller "Die Hetzjagd" (2008). "In der Regel stellen Regisseure mit einem geringeren Budget und kühneren Ideen die wirklichen Herausforderungen dar", sagt er.

Trotz seines Erfolgs mochte er sich nie auf die Schauspielerei festlegen lassen. Hochintellektuell und umfassend humanistisch gebildet widmet er sich gleichzeitig immer wieder großen Forschungsprojekten. So erschien 1996 nach zwölfjähriger Arbeit sein Buch "Kafka geht ins Kino". Sein literarisches Debüt gab er als bereits 67-Jähriger mit der Erzählung "Das Mädchen mit den Orangenpapieren".

Und in der brandenburgischen Stiftung Schloss Neuhardenberg sind unter dem bezeichnenden Titel "Lauter Umwege" noch bis zum 25. Juni Fotoarbeiten von ihm zu sehen. Seit dem 16. Lebensjahr hat er sich immer wieder in unterschiedlichsten Formen mit der Fotografie beschäftigt. "Das war die Muse, die mir am nächsten war", sagte er bei seinem Auftritt in der Akademie der Künste.

Kein Wort gibt es auch dort zu den Schicksalsschlägen, die sein Leben schon früh geprägt haben. Nach dem frühen Tod der Mutter muss der Junge ins Internat. Als er Anfang 20 ist, stirbt der Vater, ein Steinbruchbesitzer aus dem Fränkischen und früherer Nazi-Anhänger. Zischlers Sohn aus einer früheren Beziehung erliegt mit 34 einem Krebsleiden. Ein Jahr später, 2014, stirbt auch seine Frau, die Landschaftsarchitektin Regina Poly.

Vielleicht ist auch all dies ein Grund, dass er sich mit einer solchen Verve in all seine Projekte stürzt. "Er hat nichts gelernt und kann doch alles", so formulierte es kürzlich die "Berliner Zeitung". Und der Künstler antwortete darauf: "Meine Neigung, Zeit zu verschwenden, ist offenbar sehr ausgeprägt. Ich beschäftige mich gern mit Dingen, bei denen ich nicht weiß, was aus ihnen werden wird." Und das soll vorerst wohl auch so bleiben.

Homepage mit Texten, Bildern und Kontakt

Ausstellungsseite Schloss Neuhardenberg

Mitteilung der Akademie der Künste zur Archivpräsentation

Interview Berliner Zeitung vom 29.5.2017

Interview Tagesspiegel 2011

Zugang zu Interview FAZ 2006

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