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Heidi: Alte Geschichte wunderschön neu erzählt

Heidi, der Alm-Öhi, der Geißenpeter und Klara: Die Figuren aus den Romanen von Johanna Spyri begeistern Kinder seit Generationen. Nun kommt Heidi wieder mal ins Kino - als wunderbarer, lustiger und bewegender Film jenseits von Dirndl-Kitsch und Alpenromantik.

Von Cordula Dieckmann, dpa 04.12.2015, 10:23

München (dpa) - Heidi, Heidi, deine Welt sind die Berge - so sangen es schon Gitti und Erika in der Kult-Animations-Serie aus den 1970er Jahren. Daran hat sich nichts geändert.

Die Geschichte, in der das elternlose Mädchen zu seinem eigenbrötlerischen Großvater auf die Alm geschickt wird, mit dem Geißenpeter Ziegen hütet und dann zur feinen Klara Sesemann nach Frankfurt geschickt wird, ist hinlänglich bekannt. Viele Male wurde der Stoff nach den Romanen der Schweizerin Johanna Spyri verfilmt. Trotzdem ist Alain Gsponers Neuauflage unbedingt sehenswert, allein wegen der Hingabe, mit der Bruno Ganz den grantigen und einsamen Alm-Öhi spielt. Star des Films ist Anuk Steffen, die als Heidi ebenso berührt wie verzaubert und nicht nur die Herzen des Geißenpeters und des Großvaters, sondern auch der Zuschauer erobert.

Gsponer verzichtet komplett auf jeglichen Alpen-Kitsch und hält sich lieber an historische Vorgaben. Auch die Sprache mit Anklängen an den Schweizer Dialekt ist ungekünstelt. Heidi trägt kein Dirndl, sondern grobe Leinenkleidung. Am liebsten streunt sie im Hemd oder in braunen Hosen mit Peter (Quirin Agrippi) durch die Berge. Eine ungebundene Kindheit vor atemberaubender Alpenkulisse, die allerdings ihre Schattenseiten hat. Denn Waisenkinder landeten in ländlichen Gegenden wie der Schweiz früher nicht selten auf Bauernhöfen, auf denen sie oft unter unmenschlichen Bedingungen für ihren Lebensunterhalt schuften mussten. Dieses Schicksal droht auch Heidi, will ihr Großvater sie doch zuerst am liebsten ganz schnell wieder los werden.

Drei Tage bleiben, bis der Pfarrer sie zu einem Bauern bringen will. Heidi weiß um ihre Zukunft, und wie sie tapfer bereit ist, ihr Schicksal anzunehmen, bewegt. Gsponer setzt nicht auf Dramatik und Tränenseligkeit, sondern auf schlichte Gefühle. Auch den Großvater rührt Heidis kindlicher Ernst, ihre Vertrauensseligkeit und vor allem ihr liebevolles Wesen. Als der alte Mann ihr klarmacht, dass sie bei ihm bleiben kann, geschieht das ohne große Worte, fast beiläufig, doch Heidi ist überglücklich und entlockt dem finsteren Alm-Öhi mit einer stürmischen Umarmung sogar ein kleines Lächeln.

Ein melancholischer Unterton schwingt im gesamten Film mit, auch als Heidi im fernen Frankfurt bei ihrer neuen Freundin Klara heimwehkrank die Berge vermisst und auf den höchsten Turm klettert, um die Gipfel zu sehen. Dennoch wird es nie düster, im Gegenteil, es gibt sogar viel zu lachen. Der Humor ist feinsinnig und kindgerecht, ohne platte Schenkelklopfer und den in manchen Komödien üblichen Klamauk. Dafür sorgen nicht nur die guten Dialoge, sondern auch die Darsteller.

Katharina Schüttler ist das personifizierte Fräulein Rottenmeier, mit Gouvernantendutt auf dem Kopf und ständig einem leicht angewiderten Gesichtsausdruck. Man hat uns eine komplett verwilderte und ungebildete Kreatur ins Haus geschickt, ruft sie entsetzt. In der Tat mischt Heidi den vornehmen Haushalt der Villa Sesemann gehörig auf. Sie schlürft, kleckert, kann nicht lesen und ist von unbändiger Energie, sehr zur Freude von Klara, die im Rollstuhl sitzt. Im Diener Sebastian (Peter Lohmeyer) findet Heidi einen Verbündeten, ebenso im Hausmädchen Tinette (Jella Haase), die bei Fräulein Rottenmeiers Schimpftiraden aufs Schönste die Augen verdreht. Und dann ist da noch Klaras Großmama (Hannelore Hoger), eine weise und gutmütige Frau, die Heidi und der mutterlosen Klara Wärme vermittelt, und sie bestärkt: Wenn dir etwas Freude macht im Leben, dann musst du es einfach tun, egal, was die Leute sagen.

Anuk Steffen kann mit ihren erwachsenen Schauspielkollegen locker mithalten. Ein Blick aus ihren großen, braunen Augen genügt, um unendlich viel auszudrücken: Kummer, Angst, Traurigkeit, Übermut, gepaart mit kindlicher Zuneigung. So viel Charme kann sich auch der im Dörfli geächtete Alm-Öhi nicht entziehen. Ich fand das lustig, am Anfang so abweisend zu sein und nachher fand ich das irgendwie schön, dass das Herz so schmilzt vor dem Mädchen, erinnert sich Ganz an die Dreharbeiten.

Zu den schönsten Momenten des Films zählt der Teil, in dem der Alm-Öhi und Heidi erst auf einem Schlitten durch tiefen Schnee ins Tal rodeln. Später, als die Sonne untergeht und der graue Winterabend heraufzieht, stapft der alte Mann mit seiner Enkelin auf dem Rücken wieder den steilen Berg hoch. Ein mühsamer Weg durch tiefen Schnee. Doch Heidi ist in diesem Moment einfach nur glücklich und schmiegt sich fest an ihn. Gell, wir haben's gut, Großvater!.

Heidi, Schweiz/Deutschland 2015, 105 Min., FSK ab 0, von Alain Gsponer, mit Bruno Ganz, Peter Lohmeyer, Hannelore Hoger

Heidi