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100 Jahre Bauhaus Dunera-Boys wurden zur Legende in Australien

Zwei Bauhaus-Studenten verschlug es unfreiwillig nach Australien. Ludwig Hirschfeld-Mack und George Teltscher waren die Dunera-Boys.

Von Beate Hagen, dpa 29.11.2019, 23:01

Sydney l USA, Großbritannien, Israel, Sowjetunion, Schweiz – es waren viele Länder, in die die Bauhäusler nach der durch die Nationalsozialisten erzwungenen Schließung des Bauhauses am 20. Juli 1933 emigrierten. Nur zwei verschlug es nach Australien – unfreiwillig: Ludwig Hirschfeld-Mack und George Teltscher. Mit ihren Schicksalen verbindet sich ein in Europa fast vergessenes historisches Ereignis, das jedoch in der Erinnerungskultur Australiens eine bedeutsame Rolle spielt: das Leben der Dunera-Boys.

Am 10. Juli 1940 legte ein Schiff im Hafen von Liverpool ab, das eigentlich als Passagierschiff gebaut, jedoch im Krieg von der britischen Marine eingesetzt worden war, die Hired Military Transport, HMT Dunera. Ihr Ziel: Australien. An Bord waren mehr als 2500 Zivilisten, unter anderem aus Deutschland, Österreich und Italien, darunter sehr viele Juden, die vor dem Terror der Nationalsozialisten nach Großbritannien geflohen waren, aber auch politisch Verfolgte, Künstler oder Wissenschaftler, die ihren Beruf nicht mehr ausüben konnten, und einige Kriegsgefangene.

Und obwohl die meisten Emigranten nichts anderes gewollt hatten, als sich in Sicherheit zu bringen und wieder ein auskömmliches Leben zu führen, hatte sie der britische Premierminister Winston Churchill zu „enemy aliens“, zu „feindlichen Ausländern“, erklärt. Denn mit dem Vorstoß der Wehrmacht zur Kanalküste war in Großbritannien die Furcht vor einem deutschen Angriff gewachsen, und um wenigstens die vermeintlichen Feinde im Inneren loszuwerden, wurden sie interniert und in die einstige britische Strafkolonie Australien deportiert.

Auch zwei Bauhaus-Studenten waren darunter: Ludwig Hirschfeld-Mack und George Teltscher. Hirschfeld-Mack, 1893 in Frankfurt am Main geboren, war 1920 an das Staatliche Bauhaus in Weimar gekommen und hatte dort 1924 seine Prüfung in Lithografie und Steindruck ablegt. Bekannt wurde er durch seine „Farblichtmusiken“, aus Schablonen geschnittene Kreise, Dreiecke und Quadrate, die sich zu Musik bewegen und miteinander verschmelzen. Bedeutendstes Zeugnis seiner Bauhaus-Tätigkeit aber ist der von ihm entwickelte Farbkreisel, bei dem sich durch schnelles Drehen der Eindruck von Farbmischungen ergibt. Der Kreisel, der über die Jahre zu einer Ikone des Bauhauses geworden ist, wird vor allem als Kinderspielzeug bis heute nachgefragt.

Nach der Schließung des Bauhauses in Weimar ging Hirschfeld-Mack nicht mit nach Dessau, sondern arbeitete als Kunsterzieher an Schulen und nahm Lehraufträge an verschiedenen Hochschulen an, entschloss sich dann aber 1936, nach Großbritannien zu emigrieren. Dort arbeitete er wiederum als Kunsterzieher, doch vier Jahre später wurde auch er als „feindlicher Ausländer“ interniert, auf die Dunera verfrachtet und nach Australien deportiert.

Über George Teltscher ist nur wenig bekannt. Er wurde 1904 in Wien geboren und hatte in den Jahren 1921 bis 1923 am Bauhaus studiert. Dort entwarf er zusammen mit seinem Kommilitonen Kurt Schmidt das „Mechanische Ballett“, in dem flächige, stark grundfarbige und geometrisch geschnittene Figurinen in tänzerische Interaktionen gebracht werden. 1938 emigrierte er nach Großbritannien, von wo aus er ebenfalls auf der Dunera nach Australien deportiert wurde.

Die Bedingungen an Bord waren unmenschlich. Das Schiff war völlig überbelegt, unter Deck herrschte eine drangvolle Enge, und die Luft war stickig. „Es gab so wenig Luft, dass der Job des Kartoffelschälens an Deck als Lebensrettung betrachtet wurde“, erinnerte sich später Walter Kaufmann, ein jüdischer Flüchtling aus Berlin, der nach dem Zweiten Weltkrieg wieder dorthin zurückkehrte und Schriftsteller wurde. Es gab kaum etwas zu essen und zu trinken und unter Deck nur ganze zehn Toiletten, so dass sich die menschlichen Exkremente über den Boden ergossen. Am schlimmsten aber war die brutale Behandlung durch die britischen Marine-Soldaten. Die Deportierten wurden geschlagen, getreten, beschimpft und beleidigt, man nahm ihnen ihr Gepäck weg und warf es über Bord, einschließlich der Dokumente, Fotos und Medikamente. Ein Gefangener überlebte diese Tortur nicht.

Als die Dunera nach vielen Wochen die australische Küste erreichte, schien für die Deportierten das Schlimmste überstanden zu sein, doch als sie wieder festen Boden unter den Füßen hatten, standen schon Eisenbahnzüge bereit, die sie in das „Outback“, in das weite, unbesiedelte, heiße und trockene australische Inland, brachten. Dort wurden sie in ehemaligen Strafgefangenen-Lagern interniert, Hirschfeld-Mack und George Teltscher in Hay und Orange, New South Wales, und in Tatura, Victoria.

Über das Straflager in Hay schrieb später der ehemalige Internierte Klaus Wilczynski, wie sein Leidensgenosse Walter Kaufmann aus Berlin und ebenfalls jüdischer Herkunft: „Grelle Scheinwerfer an hohen Masten erleuchten ein von mehrfachem Stacheldraht eingezäuntes Lager taghell. Zaunpfosten werfen ihre langen Schatten auf in Reih und Glied ausgerichtete flache Baracken, über denen an allen Seiten der Einzäunung hölzerne Wachtürme thronen. Ringsum liegt, soweit das Auge reicht, nur Einöde, nichts als Einöde. Ein Lager am Ende der Welt.“

Doch im Vergleich zu den Lebensbedingungen auf der Dunera hatten sich die in den Lagern verbessert. Lagerkommandant und Wachmannschaften ließen den Internierten weitgehend freie Hand bei der Organisation und Gestaltung ihres Lagerdaseins. „Die Australier schaffen zwar ran, was zum Leben und sinnvollen Zeitvertreib notwendig ist, doch was damit geschieht, überlassen sie allein uns. Wir müs-sen kochen oder verhungern, Latrinen reinigen und entleeren oder im Dreck versinken, uns eine Selbstverwaltung, eine Art eigene Obrigkeit schaffen oder im Chaos untergehen. Der indirekte Zwang funktioniert vorzüglich“, erinnerte sich später Wilczynski.

In Großbritannien war inzwischen bekannt geworden, unter welchen unmenschlichen Umständen die Gefangenen deportiert worden waren, und man fragte sich auch, warum die Emigranten überhaupt als „enemy aliens“ eingestuft und interniert worden waren. Die widersinnige und unmenschliche Deportation löste im britischen Parlament einen heftigen Streit aus, der schließlich so hitzig wurde, dass Churchill eingestehen musste, dass das Ganze ein „beklagenswerter und bedauerlicher Fehler“ gewesen sei.

Im Frühjahr 1941 wurde ein Kriegsgerichtsverfahren gegen den kommandierenden Offizier an Bord der Dunera sowie gegen einen Hauptfeldwebel und einen Sergeanten wegen der Misshandlungen der Internierten angeordnet. Wie das Verfahren ausging, ist nicht bekannt geworden.

Etwa zur gleichen Zeit schickte das britische Innenministerium einen Gesandten nach Australien, der die Situation vor Ort untersuchen und eine mögliche Wiedereinbürgerung überprüfen sollte. Er empfahl schließlich, die Internierten als „ausländische Flüchtlinge“ anzuerkennen und sie zu rehabilitieren. Ende 1941 waren die meisten aus der Haft entlassen.

Von den ehemals Deportierten gingen viele nach Großbritannien zurück, so auch der Bauhäusler George Teltscher, der sich später als Grafikdesigner und langjähriger Lehrer an der London College of Printing, heute die London College of Communication, einen Namen machte. Er starb 1983 in London. Etwa 900 frühere Internierte blieben nach ihrer Freilassung in Australien, wurden australische Staatsbürger, nahmen ihre alten Tätigkeiten wieder auf und wurden zu einem integrierten und geschätzten Teil des kulturellen und intellektuellen Lebens des Landes.

Auch Hirschfeld-Mack gehörte dazu. 1942 hatte der Schulleiter der Geelong Church of England Grammar School in Victoria, Sir James Darling, die Entlassung Hirschfeld-Macks aus dem Lager erwirkt und ihn als Kunsterzieher an seiner Schule angeworben. Hirschfeld-Mack vermittelte dort der jungen Lehrergeneration den ganzheitlichen Ansatz der Bauhauspädagogik und wirkte damit richtungsweisend für die reformpädagogisch fundierte Erneuerung der Kunsterziehung Australiens nach dem Zweiten Weltkrieg. Er starb 1965 in Sydney.

Viele von Hirschfeld-Macks Werken sind heute in der Art Gallery of New South Wales, Sydney, zu sehen. Sein früherer Schulleiter, Sir James Darling, hatte einmal über ihn gesagt: „Er inspirierte Dutzende von Jungen mit seiner Integrität und seinem Enthusiasmus. Er war ein fast perfekter Mann, ein angenehmer Charakter und ein echter Lehrer.“

Um die Erinnerung an ihr Schicksal wachzuhalten, schlossen sich die ehemaligen Deportierten zu einer Dunera-Association zusammen und trugen ihre Geschichte weiter. Die Legende von den Dunera-Boys war geboren, die 1985 mit dem gleichnamigen, australischen Film kräftigen Auftrieb bekam.

Heute verständigen sich die Dunera-Boys – ganz zeitgemäß – über eine Website (www.duneraassociation.com), zum Beispiel auch über ihre alljährlichen Treffen zum Dunera-Day in Hay, dem Ort ihrer früheren Gefangenschaft. Dort kommen dann die Ehemaligen aus aller Welt mit ihren Familien und Freunden zusammen, und obwohl es immer weniger werden – die Legende lebt fort.

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