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Oper Ein leichtherziger Diktator

Giuseppe Verdis „Maskenball“ als Auftaktpremiere der neuen Saison am Theater Magdeburg.

Von Irene Constantin 13.09.2015, 23:01

Magdeburg l Eigentlich wollte Verdi die spektakuläre Ermordung des Königs Gustav III. von Schweden (1746 – 1792) auf einem Maskenball zum Opernstoff machen. Die Vorgänge waren theatralisch genug und die unabdingbare Liebesgeschichte dazu zu erfinden: kein Problem.

Die neapolitanische Zensur wollte jedoch weder Mord noch König noch Maskenball noch eine verheiratete Geliebte auf der Bühne dulden, so dass Verdi sein Werk ins amerikanische Boston verlegte und den König Gustavo zum Gouverneur Riccardo machte. Der Rest blieb.

Heute bietet diese Wirrnis um Fassungen und Handlungsorte Freiraum für Regisseure. Karen Stone entschied sich für ein merkwürdig gezwungen wirkendes, nicht ganz einzuordnendes russisch-balkanisch-orthodox-gegenwärtiges Machtzentrum mit einem eher untypischen Diktator: er ist leichtherzig, charmant und läutert sich am Ende gar zum Liebesverzicht.

Am stimmigsten passt die Szene mit der wildlockigen Ulrica in Stones postsozialistisches Ambiente. Im Wohnwagen zwischen zerbröselnden Neubauten (Bühne Ulrich Schulz) hausend hat sie als Wahrsagerin ihre Marktlücke entdeckt. Der Zulauf ärmlicher Frauen und Kinder ist ihr sicher. Lucia Cervoni sang sie vorzüglich.

Der titelgebende Maskenball selbst ist in dieser Inszenierung eine Veranstaltung, von der sich jeder Gast von vornherein mit Grausen wendet. Lange schwarze Umhänge, Totenkopfmasken, Uniformen, selbst die goldgepanzerten Busen der Damenroben (Kostüme: Falk Bauer) weisen zu deutlich auf das Ende hin. Verdi wollte jedoch im Shakespearischen Sinne komisch und grausig, hoch und niedrig innigst verquicken.

Die gelungenste Figur ist Amelia, jene Frau, die Riccardo seit langem liebt. Auch sie liebt ihn, ist aber mit Riccardos Freund Renato verheiratet und Mutter eines Sohnes. Anrührend das Seelenfieber des erwachsenen Liebespaares, das sich gemeinsam zum Verzicht aufeinander durchringt; Renatos Rache-Ehrenmord kam sinnlos zu spät.

Im Übrigen ließ Karen Stone der Oper ihren Lauf. Nicht selten wurde einfach an der Rampe gesungen – und es störte nicht, denn musikalisch war dieser „Maskenball“ ein außerordentlich gelungener Abend. Zuerst Timothy Richards als Riccardo: leichtstimmig, niemals forcierend, mit sicherem Wohlklang in der Höhe, dazu als Darsteller eines selbstmörderisch verantwortungslosen Leichtsinns differenziert und agil – eine Idealbesetzung.

Der junge Gocha Abuladze als Renato bewältigte seine Baritonpartie ohne Fehl und Tadel, aber mit etwas Premierenfieber. Irina Oknina als Amelia schaffte es, die vielen Farben ihrer leidenschaftlichen Figur, Stolz, Zweifel, Hingabe, Verzicht, Verzweiflung stimmlich präzis zu beglaubigen.

Riccardos Adlatus und Günstling ist Graf Oscar, Glanzpartie für junge Koloratursopranistinnen. Hale Soner hat das nötige Glitzern in der Stimme, den nötigen Witz im ungewiß endenden Spiel. Der groß besetzte Chor war in Höchstform, präzis, eindringlich, von Anfang an düster spannungsgeladen bot er Höhepunkte des Abends.

Musikalischer Initiator der Produktion war trotzdem das Orchester unter Kimbo Ishii. Es wurde Verdi gespielt, wie man ihn sich wünscht. Hell und dunkel, druckvoll und leicht, lyrisch anrührend ohne Sentimentalität, unheilverkündend geheimnisvoll, klangschön (Holzbläser) und klangmächtig, kam aus dem Graben stets der richtunggebende Kräftestrom. Nach knapp drei Stunden: Jubel für alle.