1. Startseite
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Ein Leben für den Chor

Landesmusikpreis Ein Leben für den Chor

Der Wernigeröder Pädagoge Friedrich Krell erhält den mit 10000 Euro dotierten Landesmusikpreis.

Von Jörn Wegner 17.10.2015, 01:01

Wernigerode l „Ein wenig Torschlusspanik“ habe er schon, sagt Friedrich Krell. Der 87-Jährige sitzt auf einem Sofa in seinem Haus am Rande Wernigerodes. 1600 Tonaufnahmen hat Krell in seinem privaten Studio bislang digitalisiert und archiviert. Bald wird sein Lebenswerk konserviert sein, auf diversen Dateiformaten, mehrfach gesichert.

Friedrich Krell ist mit dem Rundfunk-Jugendchor Wernigerode verbunden, wie kein anderer. 1928 in Wiesbaden geboren, studiert er Chemie und Physik in Halle. Da Musiklehrer benötigt werden, studiert er zusätzlich Schulmusik. In Wernigerode wird ihm im April 1951 eine Lehrerstelle angeboten. „Wenn Sie in der Lage sind, einen Chor und ein Orchester sofort zu gründen und übermorgen anzufangen, dann würde ich Sie einstellen“, habe der Leiter der Gerhart-Hauptmann-Schule damals gesagt.

Krell beginnt seinen Dienst zwei Tage später. Im Chemieunterricht wirbt er für den Chor. Krell ist beliebt. Er ist nur wenige Jahre älter als seine Schüler, und er löst die Generation Prügelstrafe ab. Als Krell am 16. Mai 1951 um 15 Uhr die Aula der Schule betritt, erwarten ihn schon 150 Schüler. An diesem Tag soll die erste Probe des Chors stattfinden.

Aus dem Schulchor wird bald ein Ensemble, das Ausscheide und Preise gewinnt. Schon ein Jahr nach der Gründung findet die erste Rundfunkproduktion statt. „Es war wichtig, die Schüler von Anfang an zu begeistern“, sagt Krell.

Aus dem „Chor der Gerhart-Hauptmann-Oberschule“ wird 1973 der Rundfunk-Jugendchor. Teil des Chores zu sein, gilt als Auszeichnung. Wer eine Vier in einem Hauptfach hat oder häufig fehlt, muss gehen. „Wir konnten es uns leisten, das war Angebot und Nachfrage“, sagt Krell.

Um musikalisch begabte Schüler besser auszubilden, schlägt Krell Musik-Spezialklassen vor. Wer Schüler der M-Klassen werden will, muss sich verpflichten, Schulmusik zu studieren, denn Musiklehrer sind Mangelware. 1963 kann Krell sein Spezialklassen-Modell durchsetzen, in den Folgejahren breitet es sich über die gesamte DDR aus.

Doch in Wernigerode wollen zu wenige der Absolventen Lehrer werden. Krell muss sich bei Margot Honecker rechtfertigen. In der „Jungen Welt“ erscheint ein Schmähartikel. „Ich hätte allen Grund gehabt, zu verschwinden“, sagt Krell heute. Doch seine Schüler will er nicht im Stich lassen. Margot Honecker verlangt, fortan jeden Auftritt des Chores persönlich zu genehmigen. Der Druck aus Berlin wird so stark, dass sich Friedrich Krell nach einer anderen Anstellung umschaut. Doch ein Gespräch mit SED-Bezirkschef Werner Eberlein beendet die Pläne. Eberlein verspricht, sich bei Margot Honecker für die Interessen des Chors einzusetzen. Doch der Druck endet erst mit der baldigen Wende.

Mit der Wende gewinnt der Chor an künstlerischer Freiheit, aber nun gelten die Gesetze des Marktes. In Magdeburg fällt das Tonstudio der Schule samt Tontechniker auf. „Der wurde als erster entlassen. Da habe ich die ganze Borniertheit gesehen“, sagt Krell.

Mit der Übernahme des dreigliedrigen Schulsystems wird das Landesgymnasium für Musik gegründet, an das der Rundfunk-Jugendchor fortan angebunden ist, Krell wird Direktor. Mit seinem 65. Lebensjahr muss er zwar den Posten abgeben, den Chor aber leitet er noch weitere dreizehn Jahre.

Über den Landesmusikpreis und die Anerkennung freut sich Krell sehr. Viel habe er seinen früheren Kollegen zu verdanken, mit denen ihn noch heute Freundschaften verbinden.

Der Leiter des Philharmonischen Kammerorchesters Wernigerode, Christian Fitzner, hebt Krells „ganz zentrale Bedeutung“ für die Musik der Stadt und des Landes hervor. „Er hat der Stadt zu internationalem Ruf verholfen.“ Krells Arbeit zeichne sich durch eine „tolle Mischung aus straffer und disziplinierter Probenarbeit und Lockerheit“ aus. Selten habe er so etwas erlebt, sagt Fitzner.

Friedrich Krell verfolgt die Tätigkeit „seines“ Chores bis heute. Die Qualität des Ensembles sei spürbar. Dabei sei Chorarbeit heute schwieriger als früher. Vor allem übervolle Stundenpläne machten den Schülern zu schaffen. „Grundsätzlich nicht zum Guten“ hätten sich die Rahmenbedingungen verändert, sagt auch Fitzner. Trotzdem, so der Musikdirektor: „Das Erbe Krells ist noch deutlich zu hören.“