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Carillons Süßer die Glocken nie klingen

Glockenspiele erfreuen besonders in der Weihnachtszeit. Für die fast 50 Carillons in Deutschland gibt es zu wenig Musiker.

Von Andreas Hummel 22.12.2015, 23:01

Gera (dpa) Udo Pein erinnert sich noch gut an den hellen Klang des Glockenspiels, wenn er vor Jahren sonnabends auf dem Geraer Markt einkaufen ging. Hoch oben in der holzverkleideten Kammer des Rathausturmes legt er seine Stirn in Falten: Die 37 Glocken sind noch immer da, aber der Spieltisch ist verwaist. Händeringend sucht der örtliche Förderverein nach einem Musiker, der die Glocken wieder regelmäßig zum Klingen bringt. Mit diesem Problem ist Gera nicht allein. 47 Carillons gibt es nach Expertenangaben in Deutschland, deren liebliche Klänge gerade in der Weihnachtszeit Herzen höherschlagen lassen. Doch es fehlt an Nachwuchs, so dass etliche Glockenspiele stumm bleiben oder nur noch einprogrammierte Melodien abspulen.

Die in Deutschland erhaltenen Carillons sind vergleichsweise jung. Das älteste wurde 1938 in der Hamburger Christianskirche geweiht, das Geraer Glockenspiel ging 1988 in Betrieb. „Es gab auch weitaus ältere, nur wurden die Glocken im Ersten oder Zweiten Weltkrieg demontiert und eingeschmolzen“, erläutert die Leiterin des Glockenmuseums in Apolda, Rena Erfurth. Die Stadt in der Nähe von Weimar hat eine reiche Glockengießertradition. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts wurden dort auch Carillons gefertigt, von denen einige bis nach Finnland, Argentinien und die USA gingen.

Zwar kamen nach dem Krieg viele Carillons in Deutschland neu dazu. Allein es fehlt an Nachwuchs, sie regelmäßig zu spielen, wie der Vorsitzende der Deutschen Glockenspielvereinigung, Ulrich Seidel, bestätigt. Gera ist nicht sein einziges Sorgenkind. Auch das Carillon im Französischen Dom in Berlin wurde viele Jahre nicht mehr von Hand gespielt – am Sonnabend gab es nun endlich wieder ein Weihnachtskonzert mit dem Magdeburger Carilloneur Frank Müller. Er betonte anschließend: „Ich hoffe, dass es nun wieder regelmäßig solche Konzerte geben wird.“

In Halle, dessen Carillon mit 76 Glocken und einem Gewicht von knapp 46 Tonnen als das größte in Europa gilt, gibt es ebenfalls keinen Carilloneur mehr. Deswegen wurde es zuletzt nur noch selten von Gastmusikern bespielt, wie die Leiterin des Stadtmuseums, Jane Unger, berichtet. Seit einem Blitzschlag ist auch die Automatik verstummt. „Unser Ziel ist, dass künftig wieder wenigstens zwei bis drei Carillonkonzerte im Jahr gespielt werden.“

Bei einem Carillon schlägt der Musiker die Glocken über ein sogenanntes Stockklavier an. Das sind Stöcke und Pedale an einem Spieltisch, die über Drahtseile mit den einzelnen Glocken verbunden sind. „Der Carilloneur kann durch die Anschlagstechnik differenziert spielen und so musikalische Effekte erzielen“, erklärt Seidel, der selbst das Carillon im Erfurter Bartholomäusturm bespielt. Dabei werden bekannte Stücke für das Glockenspiel adaptiert, aber es gibt auch Kompositionen speziell für das Carillon. „Das Spiel einer computergesteuerten Automatik bleibt dagegen ohne Seele.“

Auf etwa 60 schätzt Seidel die Zahl der Carilloneure in Deutschland. Vielerorts gebe es aber nur einen Musiker, der das Spiel beherrscht. Fällt er aus oder zieht um, dann gibt es oft keinen Ersatz. So war es auch in Gera. Seit dem Tod von Kapellmeister Lothar Füldner 2011, der das Carillon viele Jahre lang regelmäßig zum Klingen brachte, wird es nur noch zu besonderen Anlässen gespielt. So etwa am Heiligabend von einem pensionierten Musikschullehrer. „Unser Ziel ist es, Leute zu finden, die wieder regelmäßig jede Woche das Carillon spielen“, betont Pein.