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Ausstellung Ein Haus voller Kunst

Salzwedel hat seit Herbst 2015 ein Kunsthaus. Jetzt wird es seinem Namen gerecht: Bemerkenswerte Kunst ist eingezogen.

Von Grit Warnat 06.02.2016, 00:01

Salzwedel l „Mädchenschule“ steht über dem Eingang des prachtvollen neogotischen Backsteinbaus in der Neuperverstraße im Herzen Salzwedels. 1906 wurde er eingeweiht. Erst Schule, im Krieg Lazarett, zu DDR-Zeiten Pionierhaus, dann jahrelanger Leerstand.

Heute erinnert nichts mehr an Marodes. Die Kunststiftung Salzwedel hat das Haus für mehr als drei Millionen Euro saniert. Es ist ein Schmuckstück geworden, Herzstück eine Aula, die ob ihrer Decke und der großen Holzempore staunen lässt. „Hier“, so sagt Dietrich von Gruben, „gibt es Konzerte.“

Dietrich von Gruben und Achim Dehne gehören zum Stiftungsvorstand. Beide stehen im prachtvollen Ambiente der Aula und erzählen von den Vorhaben. Konzerte, Lesungen, Theater. 300 Gäste finden Platz.

Die Aula soll partiell Kunstgenuss bieten. Wenige Türen weiter aber gibt es bemerkenswerte Kunst auf lange Zeit. In fünf Räumen hängen 79 Druckgrafiken deutscher Expressionisten, darunter Künstler der Vereinigungen „Die Brücke“ und „Der Blaue Reiter“. Otto Dix und Wassily Kandinsky sind zu sehen, Franz Marc und George Grosz, Max Liebermann, Ernst Barlach und August Macke, Paul Klee und Lyonel Feininger.

„Broken Brushes“ ist eine feste Sammlung von Gus Kopriva und gleichzeitig Titel der Salzwedeler Ausstellung. Gebrochene Pinsel, so die Übersetzung, stehen sinnbildlich für die Lebenslinien der Künstler dieser Sammlung. Fast alle haben zu Nazizeiten gelitten, wurden als „entartet“ gebrandmarkt, aus ihren Ämtern gejagt.

Otto Dix gehörte zu den Diffamierten, aus dem Lehramt Entlassenen. Käthe Kollwitz hat ihren Posten in der Meisterklasse Grafik in der Preußischen Akademie der Künste aufgeben müssen. Lyonel Feininger wurde ins Exil getrieben.

Ihre Werke, ihr Blick auf die Welt passte nicht zum Kunstverständnis der Nationalsozialisten. Expressionismus, aber auch Impressionismus, Neue Sachlichkeit, Dadaismus wurden von den Nazis als „entartet“ bezeichnet, Kunstwerke aus Sammlungen beschlagnahmt, zerstört, Maler mit Verboten belegt. George Grosz und Käthe Kollwitz gehörten zu jenen Künstlern, deren Werke in der Propaganda-Ausstellung „Entartete Kunst“ ab 1937 in zahlreichen Städten Deutschlands an den Pranger gestellt worden waren. Von Grosz ist in Salzwedel die bekannte Lithografie „Löwen und Leoparden füttern ihre Jungen“ zu sehen. Ein feister Mann mit dicker Zigarre hortet Geld, während vor ihm ein nacktes Kind steht, das Gesicht verhärmt, die Hände bittend erhoben. Es geht um reich und arm und den Irrwitz, dass wenig später die Hyperinflation alles „aufgefressen“ haben wird.

Käthe Kollwitz ist als Anklägerin bekannt. „Überleben“ heißt ihre Lithografie, nach 1918 entstanden. Kinder sind zu sehen mit aufgerissenen Augen, leeren Schüsseln, bettelnd. Mit ihrem Porträt einer schwangeren Frau, eine Radierung von 1912, setzt Kollwitz auf den direkten Blickkontakt. Leere Augen. Nirgends ein Fünkchen Freude über das baldige neue Leben. Hoffnungslosigkeit. In ihrem Selbstbildnis sieht sie sich auch voller Traurigkeit.

Immer wieder trifft der Betrachter auf anklagende Bilder, Heinrich Zille, der sich über Kaisers Geburtstag lustig macht, George Grosz, der das verdorbene Berlin thematisiert. Bei Karl Schmidt-Rottluff unterhalten sich zwei Kriegsversehrte ohne Füße, einer der beiden hat auch keine Hände. Ein beklemmender Holzschnitt, entstanden zwei Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges.

Gewalt und Tod, große Themen der Künstler jener Zeit, ist einer der Bereiche der Ausstellung, weitere sind Großstadt, Aktzeichnungen und Porträts, Natur und Abstraktion überschrieben. Zu letzterem Thema ist eine Arbeit Feiningers mit seinem Lieblingsmotiv ausgestellt, der Dorfkirche von Gelmeroda.

15 ehrenamtliche Gästeführer sind abwechselnd im Einsatz, halten die Ausstellung offen und informieren über Künstler und Werke. Eine zweite Gruppe, so von Gruben, soll noch geschult werden. „Wir setzen auf das Kommunizieren, nicht auf Audio-Guides. Wir wollen Ansprechpartner sein.“ Er weiß: Salzwedel ist keine Touristenhochburg. Wer das Kunsthaus besucht, soll betreut werden und es gut informiert wieder verlassen.

Und damit jene, die da waren, auch wiederkommen, sind im vierstöckigen Haus jährlich drei bis vier Wechsel-Ausstellungen geplant. Als Erstes sollen im Frühjahr Feldpostkarten des Dresdner Künstlers Otto Schubert (1914-1916) gezeigt werden.