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Atelierbesuch Kunst aus Stoff und Garn

Die Magdeburger Künstlerin Helga Borisch schneidet, näht, malt, reißt. Ein Besuch in ihrem Atelier.

Von Grit Warnat 21.04.2016, 01:01

Magdeburg l Pinsel, Malkasten, Stifte. Ein hohes Zylinderglas ist nicht mit Wasser und Blumen gefüllt, sondern randvoll mit Nähgarn in Gelb, Rot, Grün, Orange, Lila. Wer sich umschaut im Atelier von Helga Borisch, erkennt baldigst ihre Vorlieben für Stoffe und fürs Nähen: In den Fenstern dreieckförmige Applikationen mit kunstvollen Motiven, natürlich Eigenherstellung wie auch die Deckenlampen. Blickfang aber ist das riesige Wandbild, eine Applikation in Anlehnung an das Aristophanes-Stück „Der Reichtum“.

Des griechischen Komödienschreibers Stoff um Armut und Reichtum und eine gerechte Aufteilung der Güter hat sich Helga Borisch textil-künstlerisch angenommen. Der Gott des Reichtums ist zu sehen, Plutos, mit Blindheit geschlagen, auch die Armut und ein Bauer, der den Blinden zu Asklepios bringt, dem Gott der Heilkunst. Wie auf einem Pastellbild begegnen sich die Szenen in einem zartfarbigen Figurenspiel. Doch hier ist nichts gemalt. Die Künstlerin erzählt mit Stoffstücken, Hunderten an der Zahl, zu einem Wandkunstwerk genäht auf zwei Meter in der Breite und mehr als zwei Metern in der Höhe.

Zur Ausstattung ihres Ateliers gehört die Nähmaschine. „Stoffe haben mich immer interessiert“, sagt die Künstlerin. Die Großmutter habe schon feine Kleider genäht, sie selbst sich die Arbeit mit Garn, Schere und Stoffen autodidaktisch angeeignet.

1939 in Thale im Harz geboren, aufgewachsen in Hasselfelde, wurde Helga Borisch erst technische Zeichnerin, bevor sie an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden ein Studium abschloss. Sie wurde Puppen- und Bühnenbildgestalterin, arbeitete in Dresden für das Puppenspielensemble, entwarf Kostüme für das Magdeburger Theater. Seit 1968 lebt sie mit ihrem Mann Frank Borisch, ebenfalls einst Bühnenbildner und heute an der Staffelei künstlerisch aktiv, in Magdeburg. Seitdem ist sie freischaffend tätig und arbeitet seit Anfang der 1970er Jahre mit textilen Materialien. Ihre Applikationen hängen in Rathäusern und Ministerien, Museen und Bankhäusern. Dort kommt die Größe zur Wirkung. „Die große Form macht Spaß“, sagt die Magdeburgerin.

Doch künstlerisch festgelegt werden will Helga Borisch nicht auf ihre Applikations-Kunst. Sie zieht ihre großen Holzschubladen auf. Auch dort genähte Kunst aus Papier. Genähte Zeichnungen. Ihre Nähmaschine ist hier Zeichenstift.

Daneben aber auch Aquarelle und Pastelle, Papierschnitte, für die sie schon mal gern das Positiv und das Negativ nutzt, Linoldrucke, Federzeichnungen. In einer Ecke ihres Ateliers eine Drahtarbeit. Auch mit Draht und Drahtnetzen hat sich Borisch für Pleinairs ausprobiert. Immer wieder war die Textilgestalterin auf nationalen und internationalen Ausstellungen, Symposien, Biennalen vertreten. Für Kleinformat-Ausstellungen unter anderem in Barcelona, Krosno und Danzig stellte sie sich der Herausforderung Miniformat.

Aber ihr Herz hängt an den großen Bögen, inhaltlich an den Figuren, an der Literatur und der Mythologie. Oft reiste sie mit ihrem Mann nach Griechenland, lief auch die Treppenstufen hoch zum Tempel des Asklepios auf der kleinen Insel Kos, ließ sich inspirieren. Götter und die alten Griechen sind immer wieder anzutreffen in ihren ganz verschiedenen Arbeiten – auch in ihrer aktuellen.

Noch versteckt hinter der „Reichtum“-Applikation hängt ein nicht minder großer Papp-Bogen. Vorgezeichnet ist darauf Helga Borischs neuestes Werk. Aquarellierte Zeichnungen liegen auf ihrem Schreibtisch, gemalte Gedankengebilde, die einen Eindruck geben von der späteren Bildkomposition, der Farbigkeit, der Aussage. Zu sehen auf den gemalten Entwürfen sind Erde und Himmel und zwischendrin das Wolkenkuckucksheim. Zwei wollen dorthin auswandern, kommen zu den Vögeln. Aber man schafft Abgrenzung, will, dass keiner reinkommt.

Es ist das Wolkenkuckucksheim des Aristophanes, über das er 440 v. Chr. in seiner Komödie „Die Vögel“ schrieb. Der Literat lässt Helga Borisch nicht los. 2500 Jahre alte Literatur führt sie ins Heute. Sie reichert an mit futuristischem Sirtaki und einer Flüchtlings-Mittelmeer-Überfahrt und fabuliert mit den ihr eigenen Formen und Farben. Ein Jahr wird sie an ihrem neuesten Textil-Kunstwerk arbeiten.

Erschienen ist ein Buch über ihr Lebenswerk. „Sagenhaft. Textil-Grafik von Helga Borisch“, gefördert von der Kunststiftung Sachsen-Anhalt, 20 Euro, ISBN 978-3-935971-81-2