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Musik Vom Öffnen der Seele

Der gefeierte Pianist Menahem Pressler gibt am Donnerstag und Freitag Konzerte in seiner Geburtsstadt Magdeburg.

Von Grit Warnat 18.05.2016, 01:01

Magdeburg l „Ich bin nie zufrieden, ich habe immer weiter gesucht“, hat Menahem Pressler im September 2012 kurz vor einem Konzert in Magdeburg gesagt. Jetzt, einige Jahre später und noch ein wenig älter, habe sich diesbezüglich nichts geändert, meint er. „Perfektion gibt es nicht. Sie ist nur im Himmel da. Man strebt nach dem Himmel. Aber kommt man je an? Nie. Man strebt weiter. Man sucht immer. Aber die Suche selbst ist auch eine Freude.“

Menahem Pressler, 1923 in Magdeburg geboren und in der Stadt aufgewachsen, lebt für die Musik. Schon damals nach der Pogromnacht setzte er sich ans Klavier. Die Musik hat ihm geholfen, Verfolgung, Demütigung, Flucht zu ertragen. Seine Onkel und Tanten kamen im Holocaust um, er schaffte es nach Israel, dann in die USA. Immer saß er am Klavier. Er ist leidenschaftlicher Pianist, wurde schon gefeiert, als er 1955 das legendäre Beaux Arts Trio gründete. Das Kammermusik-Ensemble tourte fünf Jahrzehnte durch die Welt – mit wechselnden Besetzungen von Daniel Guilet bis hin zu Antonio Meneses und Daniel Hope. Nur eine Position in den Abertausenden Auftritten wechselte nie: die von Menahem Pressler.

Er war der Macher im Trio, hielt die Zügel zusammen. Und doch sei es nie darum gegangen, etwas genau so zu machen, wie er es wollte. Er spricht vom Empfinden des Trios, vom Gefühl, das so wichtig sei, um etwas in der Musik gemeinsam zu suchen und dann auch zu finden.

Das Trio bleibt unvergessen, ist aber Geschichte. Doch Pressler ohne Klavier, ohne Auftritte? Der leidenschaftliche Musikmensch tritt solo auf. Er war schon 90, als er mit den Berliner Philharmonikern unter Sir Simon Rattle spielte. Das Konzert mit den Berlinern, dieses Debüt mit 90, das sei unvergesslich für Pressler. „Das war ein Traum“, sagt er. „Ein einzigartiger Traum. Das war ein ungewöhnliches Erlebnis. Und das Ungewöhnlichste war, wie ich es gehört habe, habe ich kaum geglaubt, dass ich das war. Denn es war fast perfekt.“

Fast? „Es ist immer nur fast“, sagt Pressler. Ein Lächeln legt sich auf sein Gesicht. Ja, da ist sie wieder, seine Suche.

Pressler redet äußerst bedacht mit seiner sanften, warmen Stimme. Wenn er spricht, zieht er in seinen Bann, sein Gegenüber will nicht weichen von seinen Lippen. Über sie kommt so viel Liebe zur Musik. Wer bei ihm Schüler sein konnte, darf sich glücklich schätzen. Was heißt aber konnte! Pressler ist immer noch gefragter Lehrer. „Ich bin der älteste Professor an meiner Hochschule in Bloomington in Indiana“, sagt er mit Stolz. Er will begeistern, er will, dass junge Menschen musikalisch unterrichtet werden. Er weiß um den Kampf ums Geld, in Deutschland wie in Amerika. Oft würden in den Regierungen Menschen sitzen, die das nicht als wichtig empfinden, sagt er und schüttelt sacht den Kopf. Pressler zitiert den großen Philosphen Nietzsche. Ein Leben ohne Musik ist Unsinn, hat der gesagt. „Auch er empfand, dass die Musik in ihm etwas berührte, das er sonst nie fühlte.“

Seit seiner frühen Kindheit lebt Menahem Pressler schon für die Musik. Routine aber ist sie für ihn nie geworden. „Es gibt sehr gute Musiker, die ihr Programm so oft wiederholt haben, das Routine durchkommt. Das ist nicht das, was Musik ist. Und das ist auch nicht das, was der, der ins Konzert kommt, hören möchte. Mit Routine gibt es keine Gefühle. Routine ist der Tod. Mit ihr öffnet sich nicht die Seele.“

Nach unserem Gespräch übt Pressler. Mozart spielt er in seinen beiden Konzerten am Opernhaus. Zweimal ausverkauftes Haus.

2001 kam er erstmals wieder zurück in die Stadt, die schmerzhafte Wunden hinterließ. Längst ist er Ehrenbürger, hat seit 2012 auch die deutsche Staatsbürgerschaft. „Ich komme nach Magdeburg mit Freude.“ Pressler lächelt. Am 16. Dezember, jenem Tag, an dem er vor 93 Jahren in Magdeburg das Licht der Welt erblickt hat, wird er erneut am Opernhaus spielen.

Kurz verzieht der Pianist sein Gesicht. Schmerzen von einem Sturz. „Ich muss sie bekämpfen. Die Musik hilft. Mit ihr kann man Schmerzen leichter ertragen.“