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Songtexterin Zum Tee bei Gisela Steineckert

Gisela Steineckert hat weit mehr als 2000 Songtexte geschrieben und ihr 50. Buch veröffentlicht. Am 24. November liest sie in Magdeburg.

Von Grit Warnat 05.11.2016, 00:01

Berlin l „Ich bin gleich fertig“, sagt Gisela Steineckert, als ich anklopfend durch die Tür in ihr Arbeitszimmer trete. Sie sitzt am Rechner, schreibt. Dann ein nettes „Guten Tag“ und die Bitte zu Tisch, zu Tee und Kuchen. Vom Plausch-Platz geht der Blick weithin über die Dächer Berlins. Die Dichterin und Autorin wohnt seit den 1970er Jahren in einem Hochhaus in Berlin-Mitte.

Und während der Tee schmeckt und wärmt, fängt Steineckert an zu erzählen von ihrer Kindheit, die schwierig war wie auch ihr Elternhaus. Jede Menge Erinnerungen an einst hat sie im Gedächtnis aufbewahrt – als sie Mädchen war, zur Kinderlandverschickung die Karte um den Hals gelegt bekam, von Berlin Hunderte Kilometer bis Oberösterreich fahren musste, dort zur Schule ging, lernte und schon mal frische Blumen unters Hitlerbild stellen musste.

Obwohl ihr Eltenhaus nichts auf Bücher gab, konnte sie schon mit vier Jahren lesen. „Sprache als Trost“, sagt sie. „Ich war dann voller Seligkeit.“ Diese Seligkeit, ihr Talent für Worte, soll ihr Lehrer, dessen Dialekt sie nachahmt, geschätzt haben. Es war die Zeit, als sie schon längst mit Liebe gelesen, geschrieben, Geschichten erzählt hat.

„Ich muss schon seine Seele kennen“

Kurze Pause, Blick über Berlin. Man will nicht glauben, dass Gisela Steineckert im Mai 85 geworden ist. Dieses Alter sieht man ihr keineswegs an. Auch nicht, dass sie nachts gearbeitet hat. Um 3 Uhr, so sagt sie, habe sie am Rechner gesessen, einen Liedtext geschrieben. Um sieben in der Frühe habe sie Ulli Schwinge, den in Halle geborenen Sänger und Komponisten, angerufen. Fertig war der Text.

Wenn der Gedanke da ist, gibt sie ihm sofort Zeit, ihn zu formen. Eben auch nachts.

„Die erste Zeile muss stehen“, sagt sie, „dann ergibt sich der Rest von alleine.“ Sie muss es wissen. Steineckert hat hunderte Songtexte verfasst, etliche für Jürgen Walter und Angelika Neutschel, für Frank Schöbel und Ulli Schwinge, aber auch Uschi Brüning, Gabi Rückert, Veronika Fischer. Kann sie eigentlich für jeden dichten? Nein, nein, sagt sie, trinkt einen Schluck Tee. „Ich muss schon seine Seele kennen. Ich muss wissen, was ihn diese Welt angeht.“

Hört man ihre Texte, liest man sie, weiß man, dass ihr der Inhalt wichtig ist. So wie sie in ihrer Kindheit und Jugend geprägt wurde, ist da immer von Krieg und Frieden, von Umwelt und natürlich Respekt und Liebe, Ehe und Partnerschaft die Rede. Unermüdlich hat sie dazu getextet, veröffentlicht in ihren Gedichtbänden und auf fremden Alben, von Musikern eingepackt in Töne.

„Der einfache Frieden“ ist ein Volkslied geworden. „Als ich fortging“ eine der bekanntesten Balladen in der DDR. Es ist nicht zur Grenze geschrieben, wie manche interpretieren, es ging um Liebe. So schreibt sie es auch in ihrem Erinnerungsbuch „Eines schönen Tages“ (Verlag Neues Leben), ihr 50. Buch, ihr freundlicher Blick auf ihre DDR-Zeit. Sie sinniert darin übers Altern, über Politik, erinnert sich an Singeclubs, begegnet noch einmal Freunden, Kollegen, erzählt von gemeinsamen und trennenden Wegen. Kein gutes Haar lässt sie an Wolf Biermann, und als ich sie auf den Dissidenten und heutigen Ehrenbürger Berlins anspreche, wird sie robuster in ihrer ruhigen Art. Zyniker nennt sie ihn.

Manche sehen sie als umstrittene Künstlerin an, weil sie zu DDR-Zeiten unter anderem ehrenamtlich Präsidentin des Komitees für Unterhaltungskunst war. Aber Staatsnähe will sie sich nicht vorwerfen lassen. Vor allem hat sie immer noch eine nicht gerade kleine Fan-Gemeinde, geht auf Tour, liest Texte und erzählt ihre Geschichten.

Sie spricht nicht vom Nerv, den sie wohl vor allem bei Frauen trifft, sondern vom dichten Dransein am Menschenleben. Sie liebt nicht das Abstrakte, das Verallgemeinernde. „Ich schreibe ungern Gedichte, die vor lauter Lyrik kaum laufen können.“

Wenn die Rede auf Dirk Michaelis kommt, für den sie immer noch textet, kommt sie schon leicht ins Schwärmen mit dem Blick auf beider gemeinsamer Arbeit. Die währt schon 30 Jahre und hat ihr jetzt auch auf das Soloalbum von Dieter „Maschine“ Birr verholfen.

Steineckert erzählt die Geschichte, dass sie sich für Michaelis zum Tod eines guten Freundes hat Zeilen einfallen lassen. Der einstige Karussell-Frontmann vertonte sie, stellte das Lied Birr vor und der habe gemeint, toller Text und: Ich hätte da eine Melodie. Für die hat Steineckert ein paar Texte rausgesucht, ihm geschickt und gesagt: Guck mal. Birr guckte. „Ehe der Krieg beginnt“ ist nun auf seinem Album zu hören. Autorin: Steineckert. Auch Toni Krahl arbeitet an einem neuen Album. Auch für ihn, den legendären City-Sänger, hat sie einen Liedtext geschrieben. Diese Arbeit habe sie beansprucht, sagt die Dichterin. Das komme immer wieder vor. Nicht alles gehe ihr ganz leicht von der Hand. Nicht alles sei so einfach wie bei „Weihnachten in Familie“, das Lied, das sie für Frank Schöbel textete. In 20 Minuten hatte sie das fertig. Auf ihrem Schreibtisch steht die Platin-Auszeichnung für das Schöbel-Weihnachts-Familien-Album.

„Ich kann dem Leben nicht widerstehen“

Wie viele Liedtexte hat sie sich schon einfallen lassen in ihrem Leben? 2000? 3000? Sie winkt ab. Das seien nur unwichtige Zahlen, sagt sie und greift zur Teetasse. Aber wie kommen da immer noch Zeile für Zeile neue Sichten, neue Gedanken? Die 85-Jährige denkt kurz nach. „Es geschieht in mir. Es öffnet sich einfach und ich kann nicht widerstehen.“ Und dann fällt wenig später im Gespräch noch einmal dieses Nicht-Widerstehen-Können. Als ich frage, was sie jung hält, kommt die Antwort ganz schnell und ganz kurz. „Das Leben“, sagt sie. „Ich kann ihm nicht widerstehen.“

Gisela Steineckert ist am 24. November, 19.30 Uhr, zu Gast in Magdeburg. Sie liest auf Einladung des Literaturhauses Magdeburg und des Frauenzentrums Courage im Volksbad Buckau aus ihrem Erinnerungsbuch „Eines schönen Tages“. Eintritt: 6 Euro Vorverkauf, 8 Euro Abendkasse.