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Kirchentag Riesiges Spektakel um Luther

Bei dem Open-Air-Spektakel „Unseres Herrgotts Kanzlei“ in Magdeburg hat Regisseur Jörg Richter wohl keinen Show-Effekt ausgelassen.

Von Emily Engels 29.05.2017, 04:26

Magdeburg l Ein Motorrad fährt am Petriförder entlang des Elbufers. Auf ihm ein junges Paar, das dem Publikum glücklich zuwinkt. Das Theaterstück „Unseres Herrgotts Kanzlei“ beginnt im Hier und Jetzt. Bei zwei jungen Menschen, die bei einer Flasche Wein an der Elbe über Gott und die Liebe sprechen.

Was harmlos mit nur zwei Menschen beginnt, wird – ehe man sich versieht – zu einem Wahnsinns-Spektakel mit Hunderten von Schauspielern. Die meisten davon sind Statisten. Da sind etwa die zahlreichen schwarz gekleideten Darsteller, die mit ihren langen Stöcken entlang der Zuschauerreihen gehen. Oder die Tänzer in Gewänden, die sich auf der Landzunge gegenüber vom Petri- förder zu der Musik bewegen.

Diese – komponiert von Sven Helbig – bewegt sich zwischen gregorianischem Gesang, Kirchenmusik, Orchesterklängen und Hip-Hop-Beats. Eine ungewöhnliche Mischung, die vielleicht gerade deshalb so gut passt. Auf die Handlungsdichte und das Erzähltempo des Stückes ist sie abgestimmt.

Denn nicht nur musikgeschichtlich macht das Theaterstück große Sprünge. Von dem Paar auf dem Motorrad im Jahr 2017 geht es ins Jahr 1524 – es ist der Monat Juni. Luther predigt in Magdeburg, die Menschen sind begeistert. Und darum geht es in dem Theaterspektakel: Um die Reformation in Magdeburg, erzählt von Veronica Ferres als Stimme aus dem Off.

Nur ein paar Wochen nach der Predigt bekennt sich die Mehrheit der Magdeburger Kirchen zu Luther und seinen Reformen. Katholische Pfarrer werden durch evangelische ersetzt, alle sechs Gemeinden sind bis Ende Juli 1524 protestantisch. Magdeburg ist die erste norddeutsche Stadt, die sich zu der Reformation von Luther bekennt.

Auf der „Bühne“ wird das imposant dargestellt. Lichter lassen die Elbe in schönen Farben glänzen, die Fackeln der vorbeiziehenden Darsteller sorgen für „Aaahs“ und „Ooohs“ im Publikum. Als einige Schiffe, etwa mit einer riesigen Bibel oder einer Jesus-Statue, vorbeiziehen, wirkt die Szenerie fast surreal. Als Bühne fungieren nicht nur der Petriförder, die Elbe und die Landzunge, sondern auch die Häuser auf der gegenüberliegenden Elbseite. Banner, die dort während des Theaterstückes aus den Fenstern hängen, sind etwa mit „Martin“ oder „Thesen“ beschriftet.

Ursprünglich war der Plan, so stand es im Programm, dass auch auf der anderen Elbseite Schauspieler agieren. Das hat Regisseur Jörg Richter jedoch spontan geändert, erklärt er vor der Aufführung. Aus der berechtigten Sorge, dass man die Schauspieler schwer auf der anderen Elbseite erkennen könne.

Dass man von den Tänzern auf der Landzunge – etwa in der Mitte der beiden Elfuferseiten – nur die Umrisse erkennen kann, stört nicht. Denn es geht bei dem Theaterstück um das Spektakel, das Gesamtbild.

Apropos Spektakel. Zwischendurch kommt ab und zu die Frage auf, ob all dieser Aufwand wirklich nötig ist, ob die relativ simple Rahmenhandlung des Stückes zu sehr aufgeblasen ist, die unterschiedlichen Akteure zu wenig miteinander verbunden sind. Denn zeitweise besteht die Gefahr, dass das Stück ein wenig übertrieben, einen Tick zu gewollt erscheinen könnte. Und dann wird man doch immer wieder derart mitgerissen, dass die Zweifel sich in Luft auflösen.

Der Komponist Sven Helbig spricht noch eine weitere Herausforderung an. So sagt er in einem Interview, dass es bei dem großen Spielraum rund um und auf der Elbe wichtig sei, den gesamten Platz mit Musik zu füllen. Die Musik solle idealerweise der gesamten Bandbreite gefallen – zumindest zeitweise. „Es gibt für jeden Geschmack einen besonderen Moment, glaube ich“, sagt er. Welcher das ist, muss jeder für sich selbst entscheiden.

Eines ist jedoch sicher: Der wohl brutalste Moment der Magdeburger Reformationsgeschichte ist gleichzeitig auch der unangenehmste in der Musik und den Licht-Effekten des Theaterstückes. Helbig und Richter erreichen das durch durcheinanderredende Stimmen und scheinbares Chaos in der Musik, gleichzeitig blenden die Lichter auf der gegenüberliegenden Elbseite – man möchte sich am liebsten die Augen und Ohren zuhalten. Der Moment beschreibt die Übergriffe, Plünderungen und Zerstörungen in der Stadt Magdeburg.

Veronica Ferres‘ Stimme aus dem Off erzählt die geschichtliche Handlung weiter. Statt aufzugeben, bleiben die Magdeburger stark – die Stadt wird ein Zentrum des protestantischen Widerstandes. Weit über die Stadtgrenzen hinaus bekommt sie den Beinamen „Unseres Herrgotts Kanzlei“. Im Theaterstück fahren jetzt Schiffe über die Elbe, Darsteller verteilen Teelichter an das Publikum und die Tänzer auf der Landzunge haben aus Buchstaben ein Wort geformt: „Sieg“.

Dieses Wort trifft letzten Endes auch auf das Stück zu. Denn selbst wenn die Effekte zeitweise übertrieben scheinen, erfüllen sie doch ihren Zweck. Sie sorgen für einen spektakulären Abend an der Elbe und machen das Theaterstück im wahrsten Sinne des Wortes zu einem Hingucker.