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Archäologie Die Vermessung von Bilzingsleben

Am Fundort des ältesten Frühmenschen Deutschlands, im thrüringischen Bilzingsleben, sind Archäologen aktiv - und gehen einem Rätsel nach.

Von Thomas Schöne 15.04.2017, 23:01

Bilzingsleben l Es ist ein seltsamer Karren, der bei Bilzingsleben (Landkreis Sömmerda/Thüringen) über das grüne Feld geschoben wird. Der Wagenlenker orientiert sich an einer Schnur. Die fünf Bahnen sind jeweils 30 Meter lang. Es ist ein Magnetometer – ein Messgerät, das geringste Abweichungen vom natürlichen Magnetfeld der Erde registriert. Das können Abfallgruben sein, Brandstellen oder metallische Teile. „Wir erstellen eine Bodenübersicht, vergleichbar mit einem Ultraschallbild“, sagt Archäologie-Student Martin Starick. Zusammen mit elf Kommilitonen, alle Studenten der Archäologie der Universität Halle, arbeitet er an diesem Vermessungsprojekt.

Bekannt wurde Bilzingsleben in den 1970er Jahren, als hier ein Frühmensch entdeckt wurde, den man bis dahin in Deutschland nicht kannte. Der Fund gehörte zu den ältesten menschlichen Spuren. Vor rund 370 000 Jahren war das ein Lagerplatz der Frühmenschen, „homo erectus“, der in Thüringen den Namen „Homo erectus bilzingslebensis“ bekam. Diese Gattung konnte aufrecht gehen und war vor etwa zwei Millionen Jahren aus Afrika ausgewandert. Neben Schädelknochen wurden auch Knochensplitter mit eingeritzten Linien entdeckt. Ein Beleg für die Intelligenz dieser Menschen.

Das Feld liegt in Sichtweite des alten Lagerplatzes. „Längst sind noch nicht alle Rätsel um die Besiedlung dieser Fläche gelöst“, sagt der Professor für Prähistorische Archäologie Mitteleuropas an der Universität Halle, François Bertemes. „Es geht dabei um einen Überblick der Siedlungsintensität, um das Erstellen einer Mikroregion-Analyse.“ Das Land wurde seit dem „homo erectus bilzingslebensis‘ vor rund 370.000 Jahren immer wieder von unterschiedlichen Menschen besiedelt, vor etwa 20.000 Jahren, vor rund 7000, dann wieder vor rund 3000 Jahren und im Mittelalter. „Das Projekt soll Auskunft geben, was in diesen großen Zeiträumen geschah.“ Dafür werden auch Oberflächenfunde gesammelt und kartiert. „Kombiniert man die Ergebnisse beider Methoden miteinander, erhält man einen recht genauen Überblick über die Siedlungsaktivitäten, ohne in den Boden eingreifen zu müssen“, sagt Bertemes. Das Projekt wird schätzungsweise fünf Jahre dauern und auch künftigen Studenten zur Ausbildung dienen.

Fest steht, unter dem Messfeld befindet sich eine Urnen-Begräbnisstätte aus der frühen Kaiserzeit vor etwa 2000 Jahren. „Wir wissen das auch, weil es hier in den 1960er Jahren kleinere Grabungen in dem Urnengräberfeld gab, um die Gräber vor der Zerstörung durch das Pflügen zu retten“, sagt Starick.Laut Bertemes zeichnen sich mittlerweile auch 7000 Jahre alte Hausgrundrisse sowie Pfosten eines großen, vermutlich 4000 Jahre alten frühbronzezeitlichen Langbaus ab.

Ebenso ergaben die Magnetmessungen eine cirka 5200 Jahre alte Trapezgrabenanlage der Baalberger Kultur, die hier existierte. Auch eine in der Nähe befindliche Kirschplantage wird von den Archäologiestudenten untersucht. „Hier wurde seit rund 100 Jahren zwischen den Baumreihen nicht umgepflügt. Der Boden wurde lange nicht bewegt und hier finden sich zum Beispiel Keramikscherben aus der Zeit der Linienbandkeramik vor 7500 bis 7000 Jahren“, sagt die studentische Projektleiterin Rebecca Wachsmuth. Die 28-Jährige ist in der Region aufgewachsen und ehrenamtliche Bodendenkmalpflegerin. Bilzingsleben gehörte bis zur Wende zum DDR-Bezirk Halle. Nach einem Abkommen von Thüringen und Sachsen-Anhalt kamen alle Funde von vor 1992 nach Halle, die Funde aus der Zeit danach nach Weimar.