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Ballett Magdeburg Tanz ist Sprache und Farbe

Gonzalo Galguera leitet seit zehn Jahren das Ballett am Theater Magdeburg. Dass er so lange bleiben wird, hat er damals nicht gedacht.

Von Grit Warnat 03.06.2016, 01:01

Magdeburg l Wenn es Sex auf der Bühne gäbe, wäre das normal, sagte Galguera vor seiner Uraufführung von „Stabat Mater“ im vergangenen Herbst. Man müsse sich eher rechtfertigen, über Gott zu reden.

Galguera, 1969 auf Kuba geboren, ist ein religiöser Mensch. Und er sagt, dass Kunst etwas mit spirituellen Prozessen zu tun habe. Er sieht den Menschen als spirituelles Wesen. Er will dieses Denken, dieses Fühlen mittels Tanz weitergeben an sein Publikum. Dass das in einem doch recht konfessionslosen Land funktioniert, zeigt seine feinfühlige Art, Themen anzupacken und Sehnsüchte seines Publikums einfangen zu können.

Mit Mozarts „Requiem“ startete er einst am Haus. Die Totenmesse des großen Komponisten transportierte er nach Guantanamo und wurde sogleich politisch. Es ging ihm um Tod und fehlende Gerichtsurteile, um Mutmaßungen und Ungerechtigkeit. „Requiem“ war seine Sicht auf aktuelle Dinge. Dafür begibt er sich auf Suche. Immer und immer wieder für seine Inszenierungen. Über sich selbst sagt er: „Ich bin ein Fragensteller.“

In „Stabat Mater“ mit der Gottesmutter Maria im Mittelpunkt ging es ihm ebenso um den Blick ins Heute, um eine Mutter, die ihren Sohn beweint, wie man sie überall auf der Welt findet. Galguera trifft auf Akzeptanz gegenüber solchen Stoffen. „Es freut mich, dass es einen Empfänger gibt“, sagt er. Er meint damit das Publikum. Er sagt, er spüre eine Sehnsucht nach solchen Themen. „Sie müssen ganz nah am Menschen sein, sie müssen berühren.“ Er setze dabei auch aufs Brisante, aufs Unbequeme. Das sei ein schmaler Grat, meint der Ballettchef, weil man schnell Gefahr laufe, auf andere mit dem Finger zu zeigen. Diese Gratwanderung bringe ihm schlaflose Nächste ein, reize ihn aber.

Galgueras Arbeit steht für solche Überraschungen, auch wenn er auf klassisches Ballett setzt, auf klassisches Repertoire. Der Kubaner, der Bühnentanz und Tanzpädagogik an der Escuela Nacional de Ballet de Cuba in Havanna studierte, ist ein klassischer Tänzer. Die Quelle auch des Zeitgenössischen, auf das er immer wieder setzt, ist für ihn der klassische Tanz.

Tanz ist Sprache für ihn. Nichts macht ihn zufriedener, als wenn sein Ballett eine einheitliche Sprache spricht. Seine Tänzer nennt er Balletthelden. Jetzt probt Galguera für die Ballettgala am Sonnabend mit ehemaligen Ensemblemitgliedern, mit denen er teilweise sieben, acht Jahre gemeinsam gearbeitet hat. „Es war wie immer. Ich habe gemerkt, sie haben die Arbeit mit mir nie verlassen. Als wären sie nie weggewesen.“

Dabei kommt der Kubaner aus der Musik, Klavier und Saxofon waren seine Instrumente. Dann wurde er aber Tänzer. Ein Leben ohne Tanz – unvorstellbar, sagt er. Ist es sein Traumjob? Das Wort Job stört ihn. „Es ist mein Leben. Ich gehe nicht arbeiten. Ich gehe dahin, wo ich mich wohlfühle, wo ich den Sinn meines Daseins habe. Der Tanz hat mir alles gegeben. Wie ich spreche, wie ich laufe, wie ich fühle, wie ich denke.“ Tanz ist für ihn auch Farbe. Eine schwarz-weiße Welt kann und will er sich nicht vorstellen.

Galgueras Vertrag läuft bis 2019, das ist noch ein Weilchen hin. Aber was wird dann? „Ich weiß es nicht“, sagt der 47-Jährige. Es interessiert ihn auch nicht. Galguera lebt von Inszenierung zu Inszenierung. Er, der auch Direktor der Compañía Colombiana de Ballet in Kolumbien ist, kann sich ein programmiertes Leben nicht vorstellen. „Ich stehe früh auf und möchte nicht wissen, was am Abend passiert. Ich brauche immer die Überraschung.“ Bis hin zum Urlaub. Alles ist spontan bei ihm. „Ich bin ein Bauchmensch.“

Vor allem aber ist er ein Tänzer. Und Tänzer verdrängen den Moment des Aufhörens. Das Leben eines Tänzers ist endlich. Dessen Altern beginnt ab 35? „Da sind wir schon Großeltern“, sagt Galguera und gibt zu, dass er sich selbst über die Entwicklung im Tanz erschreckt, die Perfektionisten hervorbringt, die immer jünger werden.

Und doch redet er dann vom Später: „Wenn ich 80 bin, werde ich trotzdem tanzen. Auch im Sitzen. Ich kann die Augen zumachen und mir die Bewegung vorstellen.“