1. Startseite
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Schönebecker Künstler ist verstorben

Bildhauer Schönebecker Künstler ist verstorben

Er ist bekannt geworden als der Mann mit den sehenden Händen. In dieser Woche ist Dario Malkowski im Alter von 91 Jahren gestorben.

Von Grit Warnat 16.12.2017, 00:01

Schönebeck l „Lass mich mal gucken“, hat er gesagt. Sein Schützling im Keramikzirkel ist zur Seite gegangen, hat den Meister sich setzen, das Material fühlen lassen. Dario Malkowski hat die Form abgetastet, langsam, behutsam, genau. Und dann gab er Ratschläge zu den Proportionen des Gesichtes, die in der Maske vor ihm nicht stimmten, weil der Augapfel nicht im richtigen Verhältnis zur Nase und zur Stirn stand. „Schau auch nach dem Nasenflügel“, sagte er dann. Da müsse noch einiges nachgebessert werden.

Malkowski fühlte jeden kleinen Fehler, jede Ungenauigkeit, jede Unebenheit.

Er kannte zu genau die Proportionen des Menschen, er wusste, wie ein Pferd aussah und ein Frosch mit seinen langen Beinen und seinen Augen. Das Gedächtnis eines Blinden ist ewig gefordert. Jahrzehnte hatte Malkowski weder Mensch noch Pferd noch Frosch gesehen. Malkowski war blind. Das Morgenrot über Jülich war das Letzte, was er von dieser, unserer Welt sah. Es war November 1944. Der Weltkrieg hatte ihm damals das Augenlicht geraubt. Er war 18. Er war blinder Kriegsheimkehrer.

„Nach außen will ichs bringen / der Augen Nacht bezwingen / sind sie nun stumm und schweigen / solln’s mir die Hände zeigen“ schrieb Malkowski einst in einem Gedicht. Die Hände wurden sein Seh­ersatz.

Manchmal hat er erzählt über jene Zeit, als das Licht nicht mehr da war. Sie hätte für jeden eine Katastrophe bedeutet, für ihn muss alles wohl noch schlimmer gewesen sein, wollte er doch Künstler werden. Unbedingt. Es war sein großer Traum. Im Nachhinein kann man nur ahnen, dass er so unnachgiebig wie zu seinen Zirkel-„Lehrlingen“ auch zu sich selbst gewesen sein muss. Denn er schaffte das eigentlich nicht Schaffbare. Er studierte in Magdeburg und Leipzig an den Fachschulen für angewandte Kunst, machte sein Examen als Bildhauer. Von seinem großen Wunsch, Künstler zu werden, konnte ihn auch sein damaliger Professor nicht abhalten, der dazu meinte: „Sie sind bestimmt verkehrt hier.“ Wenn er sich daran erinnerte, huschte ein verschmitztes Lächeln über sein Gesicht. Man konnte daraus lesen, wie stolz er war, es allen gezeigt zu haben.

Er schuf in all den Jahrzehnten Plastiken für den öffentlichen Raum. Sie stehen natürlich in seiner Heimatstadt Schönebeck, in der er am 14. Juli 1926 geboren wurde und die ihn vor Jahren mit dem Rathauspreis ehrte, wie auch in anderen Teilen der Bundesrepublik, die ihn 2004 mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande auszeichnete. Im Pariser Braille-Museum erinnert eine Arbeit an Louis Braille, den Erfinder der Blindenschrift, dem er 1951 auch ein Gedicht widmete. „Da kamst du, Schöpfer Louis Braille / und führtest uns aus geist‘ger Nacht / dem blinden Menschen hast zum Heile / du aus sechs Punkten Schrift gemacht. / So lernten unsre Hände sehen.“

Gedichte, Plastiken. Malkowski hat immer seine Gefühle ausdrücken müssen.

Sein Schicksal ist nicht nur Thema gewesen in seinen Texten vom blinden Morgen und der Nacht, sondern auch in seiner bildhauerischen Arbeit. Es entstanden seine Figuren wie „Der lesende Blinde“ und „Der Bürstenmacher“. Er schuf den Hörspielpreis der Kriegsblinden, „Das Buch des Lebens“: ein aufgeschlagenes Buch mit Gesichtern auf den Seiten, das vor Jahren die Washingtoner Blindenbibliothek als ihr Logo auserkoren hatte. Er schuf auch den Deutschen Hörfilmpreis des Blinden- und Sehschwachenverbandes. Es ist „Die Lauschende“. Eine Frau hat hinter dem Ohr eine Hand. Man erkennt sofort: Da will jemand besser hören. Hände hat er immer wieder geformt.

Einmal hat er gesagt, dass es ein Wunder gewesen war, dass er die Granate im Krieg überhaupt überlebt hat. Auch, dass er doch noch seinen künstlerischen Traum verwirklichen konnte. Menschliche Werte, religiöse Themen, kurzum ein christlich geprägter Humanismus waren ihm wichtig. Zu sehr hatten Krieg und schwere Verwundung ihre Spuren hinterlassen.

Und dann war da natürlich seine Lehrtätigkeit, seine Zirkel, die er für Kinder und Erwachsene aufbaute und hegte. Mehr als 60 Jahre hat er sein Wissen weitergegeben, weil er andere für seine Kunst begeistern wollte. Malkowski war ein strenger Lehrmeister, das konnte auch wehtun. Perfektion aber war ihm wichtig. Die hat er auch immer von sich gefordert.

Ja, er wusste genau, was er wollte.