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Briefe Alles Gute, Schöne, Schönste

Mit 19 Jahren lernten sich die Burger Schriftsteller Brigitte Reimann und Reiner Kunze kennen. Lange pflegten sie eine Brieffreundschaft.

Von Grit Warnat 03.01.2018, 00:01

Magdeburg l „So gut wie möglich Kunst (Literatur) machen, Brigitte, das ist uns aufgetragen.“ Dieser Satz von Reiner Kunze steht auf dem Cover der aktuellen „Neuen Rundschau“, die viermal jährlich im S. Fischer Verlag erscheint. Geschrieben hat er ihn im Janur 1972. Es ist ein Mutmachbrief. Brigitte Reimann, die 1933 in Burg geboren worden war, kämpfte da schon gegen den Krebs an. Es ist der letzte Brief des Dichters an „Liebe Brigitte“. Reimann starb 1973 noch nicht 40-jährig in Berlin.

26 Briefe mit 44 Seiten werden im Literaturzentrum Neubrandenburg aufbewahrt. Es beherbergt das Brigitte-Reimann-Archiv. Kristina Stella, gebürtiger Dresdnerin, die vor einigen Jahren bereits einen Briefwechsel zwischen Brigitte Reimann und deren zweitem Ehemann Siegfried Pitschmann herausgebracht hatte, ist Mitherausgeberin der Zeilen von Kunze an die Kollegin. Reimanns Briefe an Kunze, so Stella, seien nicht erhalten geblieben.

Der erste abgedruckte Brief ist datiert auf September 1953. Kunze arbeitete im Kulturressort bei der Volksstimme, die in jenem Jahr Reimanns Erzählung „Katja. Eine Liebesgeschichte aus unseren Tagen“ abdruckte.

Kristina Stella schreibt im Editorial von dieser Kennenlernzeit, und wie sich die Wege der beiden Schriftstellerkollegen in den folgenden zwei Jahrzehnten kreuzen – mal intensiv, mal nur sporadisch. Stella schreibt von „freundschaftlicher Verbundenheit“ zweier einzelgängerischer Künstler, denen ihre Sensibilität ebenso gemein war wie ihre Liebe zur Freiheit – ausgerechnet in einem Land, das freiheitliches Leben, Schreiben und Denken völlig anders interpretierte.

Die Aufbruchstimmung beider währte nicht lange, bald schon mussten Reimann wie Kunze direkte und indirekte Zensur ihrer literarischen Texte erleben. Kunze, viel gegängelt und bespitzelt – 1969 schreibt er an Reimann von wenig Verdienstmöglichkeiten – siedelte 1977 in die Bundesrepublik über. Die DDR-Oberen hatten damals schnell entschieden. Der Westen freute sich über den literarischen Meister aus dem Osten. Für Reiner Kunzes Werk gab es noch im gleichen Jahr große Ehre: Den Georg-Büchner-Preis.

In den jetzt veröffentlichten Briefen geht es nicht um politische und kulturpolitische Enttäuschungen und Ärgernisse. Sie geben vielmehr persönliche Sichten Kunzes frei auf das eigene Schreiben, Freude über Lesungen und Buchveröffentlichungen bei renommierten Westverlagen, auch wenn Rowohlt nur zwei Belegexemplare rausrückte und das eine, das der Fischer Verlag verschickt hatte, auch noch vom Zoll beschlagnahmt wurde.

Der Leser verspürt eine innere Verbundenheit. Es ist eher Freundschaft als kollegiales Aufmuntern. Obwohl die Briefe von Reimann an Kunze fehlen, kann man ihre Zweifel an der eigenen Arbeit spüren. „Du hast Talent, hast Verstand, siehst die Dinge, wie sie sind, was brauchen wir denn mehr von einem Menschen, der Literatur machen soll?“ Nicht verzweifeln solle sie, sondern arbeiten, gibt er ihr mit auf den Weg.

Reimann, das wird auch in ihrem sehr intensiven Briefwechsel mit Christa Wolf deutlich („Sei gegrüßt und lebe“, erschienen im Aufbau Verlag), sah sich oft Zweifeln ausgesetzt, wenn es mit dem so geliebten Schreiben mal nicht weiterging und Krankheitsschübe ihr Schaffen unterbrachen. Auch, als der Krebs sie schon quält, rät Reiner Kunze ihr zum Schreiben und notfalls zum Wegpacken der Texte. „Alles Gute, Schöne, Schönste.“

Literatur sei nicht für den Augenblick allein. Literatur werde sich halten, hatte Kunze im Dezember 1969 geschieben.

Reimann wurde Kultautorin in der DDR. Kunzes Werk, der heute 84-Jährige wurde vielfach geehrt, hat eine Millionenauflage erreicht. Seit seiner Ausreise lebt er mit seiner Frau in Obernzell bei Passau.

Neue Rundschau, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 128. Jahrgang, Heft 4, 15 Euro