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Buch Von Skandal zu Skandal

Der Bestsellerautor und Publizist Tilman Jens ist tot.

04.08.2020, 10:42

Frankfurt (dpa/uk) l Er starb am vergangenen Mittwoch im Alter von 65 Jahren nach langer schwerer Krankheit, wie der Anwalt seiner Familie gestern mitteilte. Jens wurde 1954 in Tübingen geboren und lebte viele Jahre in Frankfurt am Main. Er arbeitete als Journalist, Fernsehautor und Buchautor.

Gemeinsam mit seinem Kollegen und Freund Heribert Schwan veröffentlichte Jens 2014 das Buch „Vermächtnis – Die Kohl-Protokolle“. Das Werk über die Lebenserinnerungen Helmut Kohls brachte einen langen juristischen Streit mit sich. In dem Buch konnte man zum ersten Mal nachlesen, wie Kohl wirklich über die CDU-Elite dachte. Nicht zuletzt Kohls Einschätzung und Charakterisierung von Angela Merkel schürten den Skandal.

Als Fernsehautor arbeitete er regelmäßig für die ARD-Kultursendung „Titel, Thesen, Temperamente“ des Hessischen Rundfunks. Nach Angaben seines Verlags verfasste er über 100 Fernsehfeatures, ob ein Porträt des Dirigenten Kurt Masur, eine kritische Dokumentation über christlichen Fundamentalismus oder die umstrittene Scientology-Organisation, die sich selbst als Kirche bezeichnet und von ihren Kritikern als gefährliche Sekte angesehen wird.

„Wie kaum ein anderer Kollege verstand es Tilman Jens, kulturpolitische Themen fernsehgerecht aufzubereiten. Besondere Bilder mit brillanter Sprache zu kombinieren, zeichnete ihn aus“, erklärte Schwan. Für ihn sei Jens „ein unbequemer Zeitgenosse, immer herausfordernd, aber mit viel Empathie. Bewundert habe ich seine charakterliche Geradlinigkeit und vor allem seine journalistische Leistungsfähigkeit und Qualität.“

Jens besuchte die Odenwaldschule in Südhessen und studierte danach in Konstanz. Über das vom Missbrauchsskandal erschütterte Internat schrieb er später das Buch „Freiwild“. Der Sohn des Intellektuellen Walter Jens und der Schriftstellerin Inge Jens setzte sich auch mit seinem berühmten, an Demenz erkrankten Vater auseinander, der Mitglied der NSDAP gewesen war, dies aber verheimlicht hatte.

Verstörend waren seine Recherchen, dass der legendäre Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki von 1944 bis 1950 hauptamtlich für den polnischen Geheimdienst tätig war. Reich-Ranicki spielte seine Tätigkeit zunächst herunter, bis Tilman Jens in Neuseeland den einstigen Doppelagenten Krzysztof Starzynski aufspürte, der ein wenig schmeichelhaftes Bild des Starkritikers zeichnete.

So sei Reich-Ranicki an sogenannten „Rückführaktionen“ von Mitgliedern der bürgerlichen Opposition beteiligt gewesen, die dann in Polen vor Sondergerichte gestellt wurden. Reich-Ranicki stritt dies vehement ab. Er räumte aber zugleich ein, dass die Einschätzung des polnischen Schriftsteller Andrzej Szczypiorski („Die schöne Frau Seidenmann“), das polnische Sicherheitsministerium sei „eine kriminelle Organisation“ gewesen, „alles in allem“ zuträfe.

Erstes Aufsehen hatte Tilman Jens erregt, als er in den 1980er Jahren als Mitarbeiter einer Illustrierten zum Tod des Schriftstellers Uwe Johnson recherchierte. Um an Briefe und Tagebücher des Verstorbenen zu kommen, drang er damals in dessen leerstehendes Haus auf der Insel Sheppey (England) ein. Ein Fehler, den er bereute, wie er später schrieb: „Das war Einbruch. Das war Diebstahl. Das war kriminell ... Ich wurde gefeuert, zu Recht ... Ich habe einen kapitalen Fehler gemacht ... den größten, vielfach bereuten, doch unzweifelhaft begangenen Fehler meines Lebens.“