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Norweger lieben zu Ostern Krimis

14.04.2014, 10:15

Oslo - Anne Cecilie Remen freut sich schon seit Wochen auf Ostern. Nicht auf die kirchlichen Feiertage, die Ostereiersuche oder den Duft des Lammbratens im Ofen.

Zu Ostern fährt sie - wie jedes Jahr - mit ihrer Familie auf die Hütte in den Bergen. Mit im Gepäck hat sie abgesehen von den Skiern auch mindestens vier Krimis. Denn an Ostern wird sich in Norwegen traditionell gegruselt.

"Påskekrim", zu Deutsch "Osterkrimi", ist fast eine eigene Jahreszeit in Norwegen. Die Buchverlage sind in den Wochen vor den Feiertagen mit neuen spannenden Detektivromanen herausgekommen und auch im Fernsehen und im Radio laufen an den Ostertagen jede Menge Hörspiele und Serien, in denen geraubt und gemordet wird.

"Schon als ich ein Kind war, hat mein Großvater Gruselgeschichten erzählt", erinnert sich Remen, die inzwischen selbst Krimiautorin ist. "Das ging soweit, dass ich Angst bekam, wenn wir mit den Skiern im Dunkeln unterwegs waren, um Freunde zu besuchen." Das hat sie aber nicht davon abgehalten, die Tradition weiterzugeben. "Auch meine Kinder lesen zu Ostern Krimis."

"Skifahren und Krimis gehören einfach zusammen an Ostern", sagt auch die Buchhändlerin Tone Ravlo. "Wir lieben es, vor der Hütte in der Sonne zu sitzen und eine spannende Geschichte zu lesen." In ihrer Buchhandlung Tanum in Oslo ist es in diesen Tagen rappelvoll. "Die Leute kaufen natürlich vor den Ferien immer mehr Bücher, aber zu Ostern sind es hauptsächlich Krimis", sagt Ravlo. Kirsten Lier vom Verlag Cappelen Damm bestätigt: "Ostern ist für uns ein wichtiges Geschäft."


Vor allem Neuerscheinungen im Hardcover seien in diesen Tagen gefragt, auch wenn man dafür im Durchschnitt 40 Euro hinblättern muss. Besonders begehrt sei der neue Roman des norwegischen Erfolgsautoren Jo Nesbø mit dem Titel "Sønnen", zu Deutsch "Der Sohn". "Ich persönlich finde, das ist Nesbøs bestes Buch", sagt Tone Ravlo.

Doch warum lechzen die Norweger ausgerechnet zu Ostern nach mörderischen Geschichten? Auslöser des Gruselfiebers - so zumindest der Mythos - war ein cleverer Reklametrick vor 91 Jahren. Im Jahre 1923 schrieben die beiden Schriftsteller Nordahl Grieg und Nils Lie aus Bergen an der Westküste Norwegens einen Kriminalroman mit dem Titel "Bergensbahn in der Nacht geplündert".

Der Verlag Gyldendal, in dem das Buch erschien, startete eine Reklamekampagne. Am Samstag vor Ostern platzierte er eine Anzeige auf der ersten Seite der Tageszeitung "Aftenposten", direkt unter dem Namen der Zeitung. Der Buchtitel "Bergenstoget plyndret inat" las sich wie eine Nachrichtenschlagzeile und viele Leser glaubten, der Zug, der zwischen Oslo und Bergen verkehrt, sei tatsächlich überfallen worden. Die Bahngesellschaft wurde mit Anrufen besorgter Angehöriger von Reisenden bombardiert. Das Buch aber wurde ein Erfolg und legte angeblich den Grundstein für die norwegische Osterkrimitradition.

Pål Gerhard Olsen, heutiger Kolumnist der Zeitung "Aftenposten", meint, den Norwegern gehe es einfach zu gut. "Es ist schwierig sich vorzustellen, dass ein Bauer in Afghanistan, der früher am Tag erlebt hat, wie die Schule seiner Tochter von Taliban abgefackelt wurde, sich am Abend in seinen Lieblingssessel setzt und einen bluttriefenden Krimi liest." Ein Krimi sei ein hochprofiliertes Produkt seiner Zeit, schreibt Olsen weiter. "Und die Zeit, in der wir jetzt leben, besonders hier oben auf dem glänzenden Ölberg Norwegen, ist eine Zeit, in der wir nach Unterhaltung rufen." Auch wenn das auf anderen Teile der Welt absurd wirke.

Krimifan Mari Nygaard findet die Erklärung gar nicht so abwegig. Sie steht mit einem Buch des britisch-amerikanischen Autors Lee Child in der Hand in der Buchhandlung Norli in Oslo. "Ich habe erst mit 40 angefangen, Krimis zu lesen", sagt die heute 55-Jährige. "Nach meiner Scheidung war das so eine Art Therapie, die mich auf andere Gedanken gebracht hat." Heute sei Kriminalliteratur so etwas wie Nahrung für sie. "Ich \'esse\' Krimis."

Anne Cecilie Remen findet es gut, dass die Krimis meistens irgendwie gut ausgehen. Der Mörder wird geschnappt, der Fall gelöst. Was aber aber genau hinter dem Påskekrim-Phänomen steckt, wird wohl weiter ein Mysterium bleiben.