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Stephen Kings "Shining" geht in die zweite Runde

01.11.2013, 12:31

München - Der kleine Danny hat überlebt. Nur knapp entkam er dem Spuk im abgelegenen Berghotel Overlook, den bösen Geistern dort und seinem verrückt gewordenen Vater. Stephen Kings "Shining" ging den Lesern 1977 ebenso unter die Haut wie die darauf folgende Verfilmung des Buchs von Stanley Kubrick.

Jack Nicholson glänzte in der Rolle des Schriftstellers mit Alkoholproblemen, der seinen Sohn mordlüstern durch das unheimliche Hotel jagt und im Wahn schließlich selbst den Tod findet.

Doch der kleine Danny hat überlebt. Das Schicksal des Jungen mit den hellseherischen Fähigkeiten ging Stephen King (66) über die Jahre nie aus dem Kopf. "Ich wurde immer wieder gefragt, was eigentlich aus Danny, dem kleinen Jungen in Shining, geworden sei", erzählt der Meister des Horrors über die Entstehung von "Doctor Sleep". Mit seinem neuen Roman dreht er die Kultgeschichte in der Gegenwart weiter. Auch drei Jahrzehnte nach dem Abbrennen des Horror-Hotels sorgt der Stoff für Gänsehaut.

Mit der ersten Seite schließt King an die Geschehnisse von damals an. Danny wird weiterhin von bösen Geistern heimgesucht. Mit zunehmendem Alter ertränkt er seine grausamen Visionen in Alkohol. In einer beschaulichen Kleinstadt im Osten der USA - die klassische King-Kulisse - will der Landstreicher sein Leben in geordnete Bahnen lenken. Er nutzt sein zweites Gesicht, um alten Menschen in einem Hospiz beim Sterben zu helfen. Dort geben sie ihm den Spitznamen "Doctor Sleep".

Doch wie damals treiben böse Geister ihr Unwesen, nur schwirren sie nicht mehr in einem Hotel herum, sondern ziehen in einem Konvoi aus Wohnmobilen durchs Land, um Kinder mit übernatürlichen Fähigkeiten zu fressen. Die unsterblichen Mitglieder der Sekte wirken nach außen wie unauffällige Rentner. Doch lechzen sie nach dem "Shining", ihrem Lebenselixier und täglich Brot.

Die Sekte ist hungrig und hat es auf ein wahres Festmahl abgesehen: Das Mädchen Abra Stone verfügt über gewaltige Fähigkeiten, schon als Kleinkind lässt sie mit schierer Gedankenkraft ein Klavier ertönen und Löffel fliegen. Per Telepathie befreundet sie sich mit Danny. Der macht sich schließlich auf, das Mädchen vor der Wohnmobilsekte zu retten und das Böse zu stoppen.

Beschränkte sich King in seinem letzten Buch "Joyland" auf einen spannenden Krimi mit einem Hauch Geisterbahn-Spuk, offenbart er sich in seiner Neuerscheinung wieder ganz als Meister des Übersinnlichen. Mit Hellsehern, sprechenden Toten und fliegenden Gegenständen besinnt sich King auf seine unheimlichen Wurzeln.

Sich selbst treubleibend, besticht er nicht mit ästhetischer, hochgestochener Sprache, sondern mit Spannung, ganz nah an seinen Figuren und stets nur einen Atemhauch von der nackten Angst entfernt. "Doctor Sleep" verabreicht dem Leser eine volle Dosis Spuk auf knapp 700 Seiten. Auch wenn der Roman die eindringliche Atmosphäre seines Vorgängers nicht erreichen mag: Wer einen King nach klassischer Manier sucht, wird von dem "Shining"-Sequel begeistert sein.

- Stephen King: Doctor Sleep. Heyne Verlag, München, 704 Seiten, 22,99 Euro, ISBN 978-3-453-26855-5