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Jaroslav Rudis über Ost-Punks und "Bio-Mütter"

15.05.2014, 09:45

München - Für Ole ist seine siffige Kneipe im neuesten Szeneviertel einer ostdeutschen Großstadt sein Leben. Hier wirft er morgens seine "hübsche Italienerin" an, sprich seine auf Raten gekaufte Espressomaschine.

Verrückte Typen mit Spitznamen wie Selbst-ist-der-Mann und Dauerstudenten wie Lena bevölkern seine Bar. Selbst junge Frauen, die er wenig schmeichelnd "Bio-Mütter" nennt, lassen sich nicht vom erdrückenden Zigaretten-Rauch abschrecken.

Doch die Hauptfigur im neuen Roman "Vom Ende des Punks in Helsinki" des tschechischen Schriftstellers Jaroslav Rudis (41) plagt ein Trauma aus der Vergangenheit. Selbst die einfühlsame Lena kommt der "Glasscherbe" in Oles Leben nicht auf die Spur. Es nahm seinen Anfang mit einem Konzert der Düsseldorfer Punk-Bund Die Toten Hosen in der westböhmischen Bierstadt Pilsen 1987. Dort traf Ole die junge Tschechin Nancy. Wenig später kommt sie bei einem Fluchtversuch in den Westen auf tragische Weise ums Leben.

Das Konzert, das Rudis als Aufhänger für seinen Roman genommen hat, ist keine Erfindung. Mehrere tausend Punk-Fans aus dem ganzen Ostblock kamen am 15. September 1987 ins Freilichttheater in Pilsen-Lochotin. Das sozialistische Regime erlaubte dies als Teil des Olaf-Palme-Friedensmarsches, der sich gegen das Wettrüsten zwischen Ost und West richtete. Als nach dem Auftritt der Toten Hosen wieder Schlager laufen sollte, reagierte das Publikum verärgert.

"Einer fing an, Steinchen zu werfen", erinnerte sich ein Augenzeuge im tschechischen Fernsehen. Die Staatssicherheit griff ein, die Toten Hosen wurden ausgewiesen. Manche Besucher des Konzerts sehen in dem Protest heute einen Vorboten des Wendejahres 1989. Wie sich junge Menschen in der damaligen Tschechoslowakei mit ihrer Liebe zum Punk Freiräume eroberten, das zeigt Schriftsteller Rudis eindrucksvoll in den immer wieder eingestreuten Tagebuch-Seiten der jungen Romanfigur Nancy.

Fast 25 Jahre nach Mauerfall und Prager Samtrevolution ist bei Rudis kein Hauch von Nostalgie zu spüren. "In der Stadt kriegt man keine Luft", notiert das Mädchen mit den stechenden blaugrünen Augen in ihrem Tagebuch aus Jesenik (Freiwaldau) im Altvatergebirge. Für die jungen Aussteigerin ist Punk Wut und Freiheit, während andere sich darum sorgen, Mangelware wie Klopapier oder Fleisch zu besorgen.

Die Gegenwart ist bei Rudis nicht weniger skurril als die jüngste Vergangenheit. Er erzählt unterhaltsam und abwechslungsreich, seine Einfälle lassen mitunter erstaunen. Da entscheidet Ole, "nie wieder zu bumsen", Lena fotografiert haufenweise tote Vögel und Selbst-ist-der-Mann versucht in seiner Plattenwohnung ein Schwein zu schlachten (es entkommt). Zu alledem würde Ole nur sagen: "Das ist Punk."

- Jaroslav Rudis, Vom Ende des Punks in Helsinki, Luchterhand Literaturverlag, 349 S., 14,99 Euro, ISBN 978-3-630-87431-9.