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Über einen US-Hochstapler: "Blut will reden"

23.07.2014, 13:56

Berlin - Er trug einen berühmten Namen und wirkte wie einer jener Exzentriker, wie sie so oft unter den Superreichen dieser Welt vorkommen: Clark Rockefeller faszinierte den US-Journalisten und Autor Walter Kirn (51) von der ersten Minute an.

Rockefeller sprach abgehackt, mit Akzent und in einer etwas altmodischen Sprache. Verdächtig kam das Kirn jedoch keinesfalls vor. Er hielt Rockefellers Eigenart vielmehr "für das Produkt einer isolierten Kindheit und Jugend". Auch als dieser einmal unvermittelt den deutschen Begriff "Lebensraum" verwendete, wurde Kirn nicht misstrauisch. Im Gegenteil: Geradezu magisch angezogen fühlte er sich von diesem angeblichen Multimillionär mit seinen bizarren Ticks.

Rockefeller entwarf seitenlange Hundemenüs, ließ sich von seinem Gast den Geschmack von Coca-Cola beschreiben, die er angeblich nie probiert hatte, und zeigte ihm seine mit Hundespeichel befleckte millionenschwere moderne Kunst. Die beiden Männer freundeten sich an.

Erst viele Jahre später wird Kirn klar, dass er nicht nur einem Jahrhundert-Hochstapler, sondern auch einem eiskalten Mörder auf den Leim gegangen ist. 2012 wird Rockefeller, der in Wahrheit Christian Gerhartsreiter heißt, zu lebenslanger Haft verurteilt. 1985 soll er den Sohn seiner damaligen Vermieterin brutal ermordet haben.

Kirn, inzwischen durch seinen mit George Clooney verfilmten Roman "Up in the Air" berühmt, wird Prozessbeobachter. Er ist auf der Suche nach der Wahrheit, nicht nur nach der von Christian Gerhartsreiter, sondern vor allem seiner eigenen. In seinem wie ein Thriller zu lesenden Buch "Blut will reden" beschreibt der Journalist nun die Geschichte einer einzigartigen Verblendung.

Christian Gerhartsreiter wurde 1961 in Oberbayern geboren. Als Austauschschüler kam er 1978 nach Connecticut, wo er seine schwindelerregende Karriere als Hochstapler begann. Wie ein Chamäleon wechselte er Namen und Identitäten. Mal nannte er sich Chris Chichester, dann wieder Christophe Crowe oder Charles Smith. Er war Filmstudent und Börsenmakler, dann angeblich ein inkognito lebender britischer Adeliger namens Mountbatten, verwandt mit der Queen.

Zu Kirns Verteidigung muss man sagen, dass auch andere reihenweise auf diese schillernde Gestalt hereinfielen, vor allem Frauen. Eine war sogar 13 Jahre mit ihm verheiratet und wurde Mutter seiner Tochter. 2008 kam es zum Sorgerechtsprozess. Bei diesem flogen Gerhartsreiters Lügengeschichten auf.

Schon der Anlass, der Kirn und Gerhartsreiter zusammenbrachte, war bizarr. Der angebliche Rockefeller hatte sich als Pflegevater für eine verkrüppelte Hündin gemeldet, die Kirn im Auftrag von Freunden von Montana nach New York transportierte. Die Fahrt mit der inkontinenten Hündin wird zum apokalyptischen Auftakt einer filmreifen Story. Schon das bescheidene Honorar von nur 500 Dollar aus den Händen eines Rockefeller hätte den Journalisten eigentlich stutzig machen müssen.

Bei späteren Restaurantbesuchen muss er die Rechnung sogar selbst bezahlen. Als er einmal auf ein ländliches Anwesen des Pseudo-Millionärs eingeladen wird, muss er in einem kahlen, ungemütlichen Zimmer nächtigen und stundenlang hungern. Doch der Gastgeber tröstet ihn damit, dass der berühmte Schriftsteller Salinger sein Nachbar sei. Ein andermal drückt er ihm die private Telefonnummer von Präsident George W. Bush in die Hand. Beides verfehlt seinen Eindruck nicht.

Als Gerhartsreiter schon im Gefängnis sitzt, fragt Kirn ihn einmal, was der Schlüssel seiner Manipulation sei. Und der antwortet: "Eitelkeit, Eitelkeit, Eitelkeit". So einfach wie wahr. Auch der Journalist fühlte sich geschmeichelt, einen Freund mit einem so exquisiten Namen zu haben, alter amerikanischer Adel, eine Schicht, zu der er sonst nie Zugang fand. So ist Kirns Buch nicht nur die Geschichte eines Psychopathen, sondern auch die eines Journalisten, der sich von seiner eigenen Eitelkeit die Sinne vernebeln ließ.

- Walter Kirn: Blut will reden. C.H.Beck Verlag, München, 288 Seiten, 19,95 Euro, ISBN 978-3-406-66768-8.