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Das Licht und die dunkle Seele des Kenzaburo Oe

13.01.2015, 14:15

Hamburg - "Ich lebe jetzt dreißig Jahre, aber als Musik sind das zusammengerechnet siebenundvierzig Minuten und dreiundfünfzig Sekunden." Als der geistig behinderte Hikari Oe Anfang der 1990er zum ersten Mal seine eigenen Kompositionen auf Platte hört, zählt sein Vater Kenzaburo Oe zu den renommiertesten Schriftstellern Japans.

Zu dieser Zeit beschäftigt er sich vermehrt literarisch mit seinem Sohn - es entstehen Erzählungen, die nun mit "Licht scheint auf mein Dach" auch in deutscher Übersetzung vorliegen.

"Hikaris größte Freude in seinem Leben ist die klassische Musik." Jeden Tag, wenn er wach wird, so beschreibt es Oe, hört sein Sohn Platten oder Radio. "Er kann ohne Musik nicht leben." Es gab eine Zeit, da holte der Literaturnobelpreisträger Hikari jeden Nachmittag aus der Behindertenwerkstatt ab. Und wenn die beiden dann allein daheim waren, widmete sich der Vater der Literatur, der Sohn dem Komponieren. Hikaro Oe, seit seiner Geburt im Sommer 1963 wegen einer Missbildung an der Schädeldecke geistig behindert, ist heute ein angesehener Komponist mit mehreren Veröffentlichungen.

"In Hikaris Musik hörte ich unweigerlich eine dunkle Seele heulen." Oe ist überwältigt, als zum ersten Mal das Stück "Nächtliches Caprice" seines Sohnes auf Geige gespielt wird. Hikari habe durch das Komponieren eine große Trauer in sich entdeckt, doch zugleich bedeute es für ihn auch Heilung und Genesung. "In meinen Ohren aber klingt seine Musik einfach nur schön und klar."

Mal erzählt Oe, wie sich Hikari eine Zeit lang gegen seine Mutter aufgelehnt und seine beiden körperlich unterlegenen, jüngeren Geschwister drangsaliert hat. Er beschreibt epileptische Anfälle, aber auch seine Hingabe beim Komponieren. In den vielen winzigen Anekdoten, manchmal nur in einem kurzen Halbsatz, steckt die Liebe eines Vaters zu seinem Kind, in all ihren Facetten.

In den autobiografischen Essays in "Licht scheint auf mein Dach" - wobei "Hikari" auf Deutsch "Licht" bedeutet - geht es um die Sorgen des Vaters, um Wut und Freude, manchmal auch um Oes eigene Verzweiflung. Es sind Erzählungen über das Miteinander, die nicht nur den behinderten Sohn, sondern die ganze Familie und die Menschen, die mit ihm zu tun haben, umfassen.

Einmal schreibt Oe: "Könnte Hikari nicht komponieren, hätten meine Familie und ich wahrscheinlich nie von all den zarten Dingen erfahren, die tief in seinem Inneren wie in einer Kiste verschlossen liegen." Eine Kiste, in die man nun endlich auch in Deutschland schauen kann.

- Kenzaburo Oe: "Licht scheint auf mein Dach. Die Geschichte meiner Familie". S. Fischer Verlag, 210 S., 19,99 Euro, ISBN 9783100552174.